BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
unserer Post sehen?«
Langsam waren das zu viele Ähs und Ahs. Das Getue passte nicht zu den sonst so souveränen Doreuils.
»Aber selbstverständlich«, erwiderte Shannon so unbefangen wie möglich, während in ihrem Kopf die Gedanken heißliefen. Sie hatte Doreuils Schwiegersohn einige Male getroffen. Er besetzte eine führende Position bei Europol, wenn sie sich recht erinnerte, war er für Terrorbekämpfung zuständig. Warum konnte dieser Mann wegen eines Stromausfalls seinen Arbeitsplatz nicht verlassen? Und weshalb hatte Doreuil seine Frau so mahnend angesehen, als sie ihr davon erzählte. Shannons Journalisteninstinkt war geweckt.
»Geht es Ihrer Tochter gut?«, fragte sie.
»Bei ihnen gibt es zwar auch keine Elektrizität, aber es geht ihr gut. Wir haben heute erst mit unserem Schwiegersohn telefoniert …«, antwortete Madame Doreuil.
»Schatz«, unterbrach sie ihr Mann, »ich glaube, wir haben dann alles. Wir sollten los, damit wir nicht zu spät ankommen. Du weißt, die Bollards gehen zeitig schlafen.«
»Soll ich Ihnen beim Tragen helfen?«, fragte Shannon. »Sie haben ja jede Menge Zeug, und der Fahrstuhl geht nicht.«
»Das wäre …«, setzte Madame Doreuil an.
»… nicht notwendig«, führte ihr Mann den Satz zu Ende. »Aber danke für das Angebot.«
Shannon schickte ein stilles Dankgebet gen Himmel dafür, dass weder ihre Vermieterin noch ihre Mitbewohner je in ein Luxustelefon investiert hatten. Mit dem altmodischen Festnetzgerät erreichte sie nach ein paar Versuchen die Redaktion. Dort hatten sie nach den Erfahrungen der letzten Tage ein altes Telefon aus einem Archiv ausgegraben und einen Anschluss damit ausgestattet.
»Da steckt was dahinter«, versicherte sie Laplante eindringlich. Turner war nicht erreichbar. »Informier die Korrespondentin in Brüssel.«
»Die erreiche ich nicht.«
»Dann fahre ich selbst nach Den Haag. Mit dem Auto bin ich in fünf Stunden dort.«
»Ich dachte, du hast keinen Wagen.«
»Das ist das Problem dabei. Ich dachte, vielleicht könntest du mir …«
»Und wie komme ich dann nach Hause und ins Büro? Wenn die Öffentlichen nicht fahren?«
»Der Sender könnte mir einen Leihwagen …«
»Für so eine vage Idee? Sicher nicht.«
»Eric, da ist was im Busch. Ein leitender Terrorismusbekämpfer bei Europol darf Den Haag in dieser Situation nicht für ein paar Tage Urlaub zu seiner Familie verlassen. Warum wohl?«
»Allgemeine Bereitschaft?«
»Komm mir nicht so! Ihr seid also nicht daran interessiert?«
»Ich kann ja weiterhin versuchen, unsere Korrespondenten für die Beneluxländer zu erreichen.«
»Bis dahin ist das keine Story mehr.«
Sie legte auf. Sie startete ihren Laptop und rief über das alte Telefonmodem in ihrem Computer das Internet auf.
Einige Webseiten erreichte sie nicht. Andere langsam und mit Unterbrechungen. Immerhin. In internationalen Verzeichnissen suchte sie nach Kontaktdaten für Europol und François Bollard in Den Haag. Die europäische Polizeibehörde fand sie. Dagegen tauchte Bollards private Telefonnummer nirgends auf. Aber sie stieß auf eine Adresse.
Und wie kam sie nach Den Haag? Die Bahn würde ohne Strom nicht mehr fahren. Vielleicht existierte eine Buslinie. Die Suchmaschine spuckte ein paar Ergebnisse aus. Tatsächlich fuhr normalerweise ein Übernachtbus. Am Morgen wäre sie dort. Shannon sah auf die Uhr. Der Bus startete in fünf Stunden. Wenn er fuhr. Sie überprüfte die Bargeldbestände in ihrem Portemonnaie. Siebzig Euro. Das würde nicht genügen. Sie durchwühlte alle Taschen, Hosen, Schubladen in ihrem Zimmer. Schließlich hatte sie hundertvierzig Euro zusammen. Immer noch zu wenig.
Sie lief auf die Straße hinunter zur nächsten Filiale ihrer Bank. Im Radio hatten sie gesagt, dass viele Bankautomaten weiterhin funktionierten und auch die Banken morgen öffnen würden. Sie schob ihre Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz neben der Tür. Die öffnete sich tatsächlich und gewährte ihr Zutritt zum Vorraum mit dem Geldautomaten. Dessen Display zeigten dieselben Angaben wie immer.
Shannon prüfte ihren Kontostand.
2 167,- Euro.
Die mageren Ersparnisse jahrelanger Kameraschlepperei.
Shannon hob eintausendfünfhundert ab.
Sie stopfte das Geld in eine Hosentasche und eilte zurück in die Wohnung.
Sie packte einen Seesack voll warmer Kleidung. Dazu ihre beiden Digitalkameras, alle Batterien und Akkus, die sie finden konnte, schließlich noch ihren Laptop. Zu Fuß wäre sie mindestens eineinhalb
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