Blackout
legte. Die Logistik des Verlusts. Die Beschäftigung mit den furchtbaren Kleinigkeiten des Alltags.
Einen halben Block entfernt dröhnten hinter einer riesigen Lärmschutzwand aus Beton die Autos auf der 110 entlang. Ein paar Jungs rannten noch auf der dunklen Straße herum und schwenkten dabei ihre Spielzeuggewehre, die so echt aussahen, dass erschöpfte Polizisten sie dafür erschießen könnten. Ihr Gelächter schien sich über die nüchterne Prozession der überlebenden Broachs lustig zu machen.
Ich würde die Kooperationsbereitschaft des Verwalters also gar nicht in Anspruch nehmen müssen, um die Wohnung sehen zu können. Was ich allerdings brauchte, war mehr Nervenstärke, als ich momentan vielleicht aufbringen konnte. Hier war die Gelegenheit, die mir der Prozess bei den Bertrands genommen hatte. Eine Chance, mit den trauernden Hinterbliebenen zu sprechen und ihnen das Wenige anzubieten, was man jemand unter solchen Umständen anbieten konnte. Einen Moment lang hasste ich meinen Job und meine Geschichte, denn dadurch konnte mein Annäherungsversuch hier nur zu leicht eine ungute Note bekommen. Und ich hasste mein verborgenes Motiv, das dieser ganzen üblen Situation noch einen Hauch mehr Schäbigkeit verlieh.
Die Mutter, eine füllige Blondine, blickte ein paarmal zu mir herüber, und mir wurde klar, dass ich ihnen Angst einjagen musste, wie ich sie durch meine getönten Fensterscheiben beobachtete, während Kaseys Mörder immer noch frei herumlief.
Ich ging zu ihnen hinüber und blieb in respektvollem Abstand stehen. »Mrs. Broach? Ich bin …«
»Ja.« Sie schwieg einen Moment. Über ihrem Arm hing ein Stapel Kleider, die sie gar nicht erst vom Bügel heruntergenommen hatte. »Andrew Danner. Ich erkenne Sie wieder.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe. Ich weiß, es muss ziemlich seltsam aussehen, dass ich hierherkomme und … und …« Nach den Scherben zu urteilen, die jemand neben den Türrahmen geschoben hatte, war das Flurlicht über Kaseys Tür erst vor kurzem zertrümmert worden. Die Gefühlskälte dieser vorbereitenden Maßnahme ließ mich schaudern. Daher benutzten die Broachs also die Autoscheinwerfer, um ihren Weg zu beleuchten – weil der Mörder das Flurlicht kaputtgeschlagen hatte, um später den Körper ihrer bewusstlosen Tochter leichter abtransportieren zu können.
»Und?«, fragte mich Mr. Broach von hinten. »Weswegen
sind
Sie denn nun hier?«
Hinter mir schrien die Kinder auf der Straße sich mit vorpubertären Sopranstimmen zu: »Getroffen! Ich hab dich erschossen!«
Erschrocken merkte ich, dass es mir jäh die Kehle zuschnürte. Ich presste die Lippen zusammen und versuchte, meine Fassung wiederzugewinnen.
Mrs. Broach ließ die Kleider auf den Boden fallen, trat einen Schritt auf mich zu und nahm mich in die Arme. Sie rieb mir kräftig mit kreisenden Bewegungen über den Rücken. Ihre Art zu trösten war unendlich effektiver als meine Versuche bei Lloyds Zusammenbruch. Sie war weich, ein klein wenig schweißfeucht und roch angenehm nach Weichspüler. Einen Moment lang wurde sie zu meiner Mutter, April, Françoise Bertrand, die mir mit ihrem Akzent verzeihende Worte zugurrte.
Ich löste mich aus ihrer Umarmung, blinzelte ins Scheinwerferlicht und sagte: »Ich weiß nicht mal richtig, wo ich anfangen soll. Außer, dass ich Ihnen sagen will, wie leid es mir tut, was mit Kasey passiert ist. Und es tut mir leid, dass Ihnen das passiert ist.«
Kaseys Schwester – Jennifer, wenn ich mich recht erinnerte – stand in der Tür, kaute Kaugummi, stellte eines ihrer schlanken Beine auf die Zehenspitzen und drehte es hin und her. In den Nachrichten hatte man viel davon geredet, dass sie gerade erst die Highschool begonnen hatte, womit sie fast zwei Jahrzehnte jünger war als ihre große Schwester. Jennifer sah aus, als wollte sie weinen, hätte aber keine Energie mehr. Aber dann ließ sie es doch kommen, presste die Hand gegen die Schneidezähne und hickste eine Mischung aus Stöhnern und Schluchzern hervor.
»Kommen Sie herein«, bat Mr. Broach.
Wir gingen nach drinnen, wobei wir über halbgepackte Kartons und verstreute Kleidungsstücke hinwegsteigen mussten.
Mr. Broach sah sich um und sagte dann barsch zu sich selbst: »Woher soll man eigentlich wissen, was man behalten soll?«
Sie setzten sich auf ein Sofa, das ein Stück von der Wand abgerückt worden war, ich nahm auf einem umgedrehten Tontopf Platz. Wo sollte ich anfangen?
»Ich war ein Verdächtiger im
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