Blackout
dem alten Stummel an.
Nachdem er noch zwei geraucht hatte, fragte ich: »Und, wie geht’s dir?«
»Bestens.«
Die nächsten drei schien er noch mehr zu genießen.
»Und jetzt?«
»Könnt nicht cooler sein.«
Bei der neunten Zigarette konnte er bereits den aus dem Mund entweichenden Rauch wasserfallartig in die Nase ziehen. Bei der dreizehnten konnte er schon Rauchringe blasen. Die fünfzehnte drückte er an der Wand zwischen seinen Knien aus, dann streckte er glücklich die Arme. Und zündete sich gleich wieder die nächste an.
Ich kletterte auch auf die Betonmauer und setzte mich neben ihn.
»Kann ich eine von dir schnorren?«, bat ich.
Caroline sah mir in die Augen, als schätze sie einen gegnerischen Boxer ab. Ihr Zeigefinger bewegte sich von ihrer Brust zu meiner. »Hier stimmt die Chemie nicht.«
»Ist doch bloß ein Abendessen«, wandte ich ein.
Sie ging über den Flokatiteppich und setzte sich hinter ihren Schreibtisch, als fühle sie sich besser, wenn irgendein großer Gegenstand zwischen uns stand.
Ich betrachtete die Fotos auf den Bücherregalen. Lauter Heimkinder verschiedenster ethnischer Herkunft, die sich zu einem Matterhorn gruppiert hatten, wie ein sorgfältig arrangiertes Gruppenfoto auf einem Disney-Prospekt. Ein Team mit Sozialarbeitern an einem Lagerfeuer, die Kinder lagen im Vordergrund oder bei dem einen oder anderen Betreuer auf dem Schoß. Seitlich auf dem Schreibtisch stand ein Foto von Caroline, die ihren Arm um einen jungen schwarzen Teenager gelegt hatte und in die Kamera lachte. Sie war jünger, ihr Gesicht noch nicht gezeichnet von ihrer Verletzung, und ihre Schönheit strahlte. Ich deutete auf das Bild: »Wer ist das?«
Sie klatschte das Foto flach auf den Tisch und schob es von dort in eine Schublade.
»Ich meinte den Jungen«, sagte ich.
Sie wurde rot. Ihr Kragen flatterte leicht im Luftzug des rotierenden Ventilators. Mit ruhiger Würde fasste sie in die Schublade, holte das Bild heraus und stellte es wieder hin. »Das war J. C. Ich hatte schon eine Menge anderer Jobs vor diesem.«
Ich warf einen Blick auf meine Uhr. »Ich habe heute Morgen den Verwalter von Kasey Broachs Apartment angerufen. Wenn ich seinem Anrufbeantworter glauben darf, ist er nur von achtzehn Uhr bis achtzehn Uhr dreißig zu sprechen. Wenn ich die Besuchsregel von Caroline Raine in die Tat umsetzen will, muss ich mich jetzt auf den Weg machen. Ich fände es wunderbar, wenn Sie meine Einladung zum Abendessen heute Abend annehmen würden, aber Ihre lange Bedenkzeit ist wenig schmeichelhaft für mich, und ich bin sehr sensibel.«
Ihre Lippen verzogen sich leicht – aber es war noch kein richtiges Lächeln. »Laden Sie mich bitte nicht zum Abendessen ein, weil Sie glauben, dass Sie mir damit einen Gefallen tun.« Sie blickte mich fest an. »Ich komme sehr gut alleine klar.«
»Ja, sieht mir auch so aus – Sie sind einfach bestens an die Gesellschaft angepasst, genau wie ich. Deshalb dachte ich, dass wir uns vielleicht ganz guttun könnten.« Ich ging zur Tür, wo ich noch einmal kurz stehen blieb. »Acht Uhr.«
Sie nickte unmerklich.
Die Betreuerin mit den abgekauten Fingernägeln stand genau vor der Tür auf dem Flur und tat so, als würde sie das Telefontischchen aufräumen.
Als ich an ihr vorbeiging, blickte sie auf. »Wenn Sie ihr weh tun, dann dreh ich Ihnen den Hals um.«
»Wenn ich ihr tatsächlich weh tun sollte«, erklärte ich, »dann würde ich Ihnen sogar noch dabei helfen.«
[home]
29
D ie Mitglieder von Kasey Broachs Familie kamen durch die Eingangstür von Apartment 1 B zum Umzugswagen und gingen dann denselben Weg wieder zurück. Dabei schleppten sie Lampen, Abfalleimer und Kartons. Zwischen den Eltern und der jüngeren Schwester, die ich aus den Nachrichten wiedererkannte, war eine große Familienähnlichkeit zu bemerken. Sie marschierten schweigend und wie mechanisch durch das starke Scheinwerferlicht des Umzugswagens. Ab und zu blieb einer von ihnen auf dem kurzen Stück zwischen Auto und Tür stehen, stützte sich auf einen Zaunpfosten und beugte sich vornüber, als wollte er wieder zu Atem kommen.
Tiefkühlgerichte tauten in einer transparenten Mülltüte vor dem Eingang vor sich hin. Kaseys Vater blieb kurz stehen, um einen Armvoll Toilettenartikel wegzuwerfen – eine strapazierte Zahnbürste, alte Rasierer, eine halbe Schachtel Wattestäbchen –, während seine Tochter das Kabel um das Telefon wickelte, bevor sie alles zusammen in eine Salatschüssel
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