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Blade 02 - Nachtklinge

Blade 02 - Nachtklinge

Titel: Blade 02 - Nachtklinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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Canal Grande, in Richtung San Polo spazierte, herrschte in den Straßen schon wieder Stille.
    Der junge Mann schritt gleichmäßig aus. Tycho dachte nicht an Giulietta. Ganz im Gegenteil: Seit er vor zwei Stunden in seiner Kellerkammer in der Ca’ il Mauros erwacht war, vermied er jeden Gedanken an sie. In der abendlichen Dämmerung hatte er ehrerbietig von Gräfin Desdaio und seinem ehemaligen Meister Abschied genommen. War es etwa seine Schuld, wenn sich Atilo ein wenig verspottet fühlte?
    »Herr Tycho?«
    »Was ist denn?«
    »Ich dachte, Ihr hättet etwas gesagt.«
    »Ich führe nur Selbstgespräche.«
    Die beiden Träger, die seine Habseligkeiten transportierten, waren klug genug, zu schweigen.
    In einem Metzgerladen hingen fette Servelatwürste. Sie waren in rosafarbene Pelle gehüllt und wirkten leicht anstößig, was ihnen im Volksmund den schönen Namen
Witwenseufzer
eingetragen hatte. Tycho blieb stehen und sah zu, wie die Frau eines Händlers ihre Einkäufe erledigte. Er beneidete alle, die ein so normales Leben führten.
    Er konnte sich kaum vorstellen, wie es war, sein Leben an einem einzigen Ort zu verbringen. Jede Stufe zu kennen, über die man als Kind gestolpert war, jede Mauer, die man um die Wette hochgeklettert war. Dort auf der Bank der erste Kuss, unter jener Tür der zweite. Ob es schön war, irgendwo hinzugehören?
    Oder träumten alle, die eine Heimat hatten, von der Ferne?
    Der Weg führte an einem schmalen Kanal entlang, dessen Mauer allmählich in das grünliche, stinkende Wasser bröckelte. Eine wackelige, modrige Holzbrücke führte zur anderen Seite. Die Häuser, die den Kanal säumten, waren sehr alt und die dünnen Backsteinwände unverputzt. In einem
sottoportego
– Passagen, die ein Gässchen mit dem nächsten verbanden – trieben es zwei Halbwüchsige miteinander. Immerhin besser als zu Hause, in den schäbigen Unterkünften ihrer Familien, wo solche Ekstasen nur Hohn und Spott hervorriefen.
    »Wir sind gleich da«, ließ sich einer der Träger vernehmen.
    Saint Apollinaire war der Schutzpatron der Flüchtlinge, die vor vierhundert Jahren von Ravenna nach Venedig geflohen waren. Heute kannte man ihn als San Aponal und hatte ihm zu Ehren an diesem Platz, der etwas besser aussah als die restliche Gegend, eine Kirche erbaut.
    Die Büste über der Tür verriet die republikanische Gesinnung des hingerichteten Tomas Felezzo. Es handelte sich um Pietro Gradenigo, den letzten mehr oder weniger frei gewählten Dogen der Lagunenstadt. Er war vor allem als Vorgänger Marco Polos in Erinnerung geblieben.
    Tycho nahm einen Schlüssel vom Gürtel und öffnete die Tür.
    Die leere Eingangshalle war dunkel und staubig. Es roch nach verdorbenem Gemüse. Als er den Blick durch den Raum gleiten ließ, sah er plötzlich ein anderes Augenpaar, das ihm aufmerksam folgte. Das ausgehungerte Tier kauerte unter einer Eichenbank und war sichtlich bestrebt, schleunigst aus dem Haus zu flüchten, in dem es in der Falle gesessen hatte. Doch dann sah es den Schinken in Tychos Hand und blieb mit einem Ruck stehen.
    »Was um aller Welt ist das, Herr?«, fragte einer der Träger.
    »Eine Art Echse.«
    Die Träger starrten den Dolch in Tychos Hand an. Die Geschwindigkeit, mit der die Waffe von Tychos Gürtel in seine Hand geglitten war, hatte sie beeindruckt. Und wie rasch er ein Stück von dem Schinken abgeschnitten hatte. Tycho grinste. Den Trägern war anzusehen, wie erleichtert sie waren, dass sie keinen Versuch unternommen hatten, ihn auszurauben.
    »Ihr könnt gehen.«
    Sie nahmen dankbar die Silbermünzen in Empfang und trollten sich.
    Anschließend schleppte Tycho eigenhändig seine Vorräte ins Haus. Die Lebensmittel hatte er bloß mitgenommen, weil Gräfin Desdaio darauf bestanden hatte.
    Ca’ Bell Angelo Scuro. Das Haus des dunklen Engels.
    Der Name passte zu ihm.
    Das Haus war kein Prachtbau, und die Backsteine im Mauerwerk waren teilweise herausgebrochen. Es lag an einem schmalen Kanal, eingeklemmt zwischen San Aponal und einem Weinlager. Aber es war sein eigenes Haus.
    Von außen hatte er vier Stockwerke gezählt.
    Die Eingangshalle war schmal, an einer Wand standen Eichenbänke. Im Kamin gegenüber der Eingangstür war noch Asche, zu seiner Rechten führte eine Tür hinaus zu einer baufälligen Anlegestelle. Die daran vertäute Gondel wirkte erstaunlich vornehm.
    Da Tycho Wasser verabscheute, würde er sie wahrscheinlich niemals benutzen.
    In der Halle drehte er sich einmal um die eigene Achse und

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