Blade 02 - Nachtklinge
eigenes Unterkleid angezogen?«
»Sie hatte ja keine anständige Kleidung.«
Tycho nahm jeden einzelnen Geruch im Zimmer wahr: den des ärmlichen Gewands der Küsterfrau, Asche, Lavendel und Lammfett in der Seife, Desdaios Schweiß, das dunkle, gewaschene Haar des Mädchens. Er witterte sogar den zarten Duft der frischen Laken, die in einer Zedernholztruhe aufbewahrt wurden. Er ging zur Tür und rief nach Elizavet.
»Nimm ihr altes Hemd und verbrenn es.«
»Das hätte ich auch machen können«, protestierte Desdaio.
Sie musste sehr einsam sein, wenn sie sich anbot, niedere Tätigkeiten für ihren früheren Sklaven zu übernehmen. Plötzlich bemerkte er, dass Desdaio zum Bett hinüberstarrte.
Rosalie starrte zurück.
Blitzschnell löste er den Gürtel um Gräfin Desdaios Taille, schlang ihn um Rosalies Handgelenke und band sie am Kopfende des Bettes fest. »Zu ihrem Schutz, sonst verletzt sie sich noch selbst.«
Desdaio sah ihn verblüfft an.
»Wir wollen nicht, dass sie einen Anfall bekommt.«
Rosalies Gesicht war noch schmaler geworden, und die spitzen Schultern stachen beinah durch den Seidenstoff des Unterkleids. Am auffälligsten waren ihre Augen.
Tycho hoffte, dass Desdaio nichts bemerkte.
Aber der Blick der Gräfin wanderte bereits prüfend zwischen Tychos und Rosalies Augen hin und her. Schließlich hob sie eine Kerze und hielt sie vor Rosalies Gesicht. Die bernsteinfarbenen Flecken waren unverkennbar.
»Das ist ausgeschlossen.«
»Sie leidet an derselben Krankheit wie ich.« Würde sich Desdaio mit dieser Erklärung zufriedengeben?
»Sie kann das Tageslicht nicht ertragen?«
»Die Sonne verbrennt sie genauso wie mich.«
Desdaio war davon überzeugt, dass Tycho direkt aus der Hölle kam, ein Dämon war oder ein gefallener Engel. Alles sprach dafür, seine weiße Haut, die seltsamen Augen, seine beunruhigende Schönheit. Er warf einen Blick auf Rosalie. Ihre Haut schimmerte wie weißer Marmor. Kein Zweifel, auch dieses Straßenmädchen war auf einmal beunruhigend schön geworden.
»Ist sie stumm?«
»Sie war es jedenfalls nicht, bevor sie …« Tycho stockte.
Sie war es nicht, bevor sie starb und begraben wurde und ich sie ins Wasser geworfen habe.
Jeder Stadtteil zwischen Castello und Cannaregio musste ihr grausiges, halb ängstliches, halb zorniges Heulen vernommen haben. In ihren Augen war kein Funken Menschlichkeit gewesen, bevor er sie ins Wasser warf, und als er sie heraushob, war ihr Blick wie erloschen.
»… bevor sie krank wurde«, vollendete er den Satz.
»Braucht sie Medizin?«
»Nein. Sie braucht zu essen.«
»Dann gib ihr etwas. Ich kann schnell etwas zubereiten.« Desdaio war leicht gereizt von Tychos umständlichen Antworten.
»Wo ist Atilo?«
Sie sah aus, als hätte er ihr eine Ohrfeige versetzt.
»Im Rat der Zehn. Sagt er.« Sie hob herausfordernd das Kinn, doch ihr Blick wirkte verzagt. »Vermutlich besucht er die Dogaressa. Anscheinend sind die beiden wieder beste Freunde.«
»Wer hat Euch von Alexa erzählt?«
»Du jedenfalls nicht«, entgegnete sie ungehalten. »Angeblich war er ja immer auf den Ratssitzungen, wenn er dich früher auf seine nächtlichen Streifzüge mitgenommen hat.«
»Die meisten davon hatten nichts mit der Dogaressa zu tun.«
»Sondern?«
Tycho schüttelte den Kopf. »Das darf ich niemandem verraten.«
In diesen Nächten hatte Atilo ihn geheißen, entlassene Gefangene zu jagen und zu töten. Man hatte ihnen die Freiheit versprochen, wenn es ihnen gelang, die Stadt zu verlassen. Atilo hat jede seiner Bewegungen beobachtet und verbessert. Er hatte zuerst Schweine geschlachtet, dann Männer angegriffen und zum Schluss Frauen und Kinder ermordet. Die Dogaressa hatte den Befehl gegeben, Atilo hatte ihn angeleitet und Dr. Crow hatte alles beobachtet.
Desdaio hielt ihren geliebten Atilo für einen manchmal gestrengen, ansonsten aber freundlichen alten Soldaten, der aus dem Dienst ausgeschieden war. Für alle anderen in Venedig war er ein Maure, der nach Belieben die Fronten wechselte und einer jungen Frau, die seine Tochter hätte sein können, den Kopf verdreht hatte. Das beantwortete nicht die Frage, warum er Desdaios Bett mied, während er bei anderen Frauen nicht so zurückhaltend war.
»Alexa hatte nichts damit zu tun?«
»Nein. Nicht das Geringste.«
»Atilo hat mir gesagt, seine
Freundschaft
mit der Dogaressa sei aus politischen Gründen unumgänglich. Damit kann ich leben. Aber je mehr Zeit er bei ihr verbringt, desto seltener sucht
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