Blade 02 - Nachtklinge
Gießereien. »Dieser Bauernhof ist also ihr neues Domizil?«
»Du wirst dich benehmen.«
Rosalie knickste artig.
»Prinzessin Giulietta hat uns das Leben gerettet.«
Sie wollte erst widersprechen, fuhr sich dann aber nur durch ihre Zottelhaare und rückte das schäbige Gewand zurecht. »Wo schlafen wir?«
»Im Keller.«
Sie schob sich dicht an ihn heran, und die Bernsteinflecken in ihren Augen glitzerten. Tycho trat einen Schritt zurück und ihre Miene verfinsterte sich.
»Schlafen wir zusammen?«
Zuerst verstand er nicht, was sie meinte.
Unmissverständlich spannte sie das Kleid um ihren Körper. Er sah ein dürres Kind mit schmalen Hüften und winzigen Brüsten. Ihr Gesicht wirkte edler und feiner geschnitten als früher, doch hinter ihren Augen loderte etwas Wildes, das schon vor ihrem Tod dagewesen war, die Folge eines harten und brutalen Lebens.
»Nun?«, fragte sie ungeduldig.
Tycho wusste, sie hatte Zuhälter und Beschützer gehabt, gelegentlich auch eine Art Liebhaber. Auf den nächtlichen Straßen hatte sie ebenso viel Schlimmes erlebt wie er in Bjornvin. Sie bot ihm nicht nur ihren Körper an.
»Rosalie …«
Das Feuer in ihren Augen erlosch. Sie wandte den Blick ab und starrte in die Ferne. Als sie ihn wieder ansah, war ihr keine Regung anzusehen, und ihre Stimme klang gleichgültig. »Du liebst deine Prinzessin, nicht wahr?« Es war halb Feststellung, halb Frage; aber vor allem wollte sie, dass er ihr widersprach.
»Vom ersten Augenblick an.«
Rosalie musterte ihn kurz und zuckte die Achseln. »Ich bin hungrig. Wo kann ich mich sättigen?«
Tycho war erleichtert über den Themenwechsel. »Du musst dich mindestens zwanzig Minuten entfernen, in deinem Tempo, wohlgemerkt. Sei vor der Morgendämmerung wieder zurück.«
»Und Pietro? Denkst du wirklich, ihm kann nichts geschehen?«
»In der Ca’ Friedland ist er in Sicherheit.«
Ihr Lächeln rührte ihn.
Sicher vergaß sie ihren kleinen Bruder bisweilen. Tycho wusste, wie es war, in seiner eigenen Dunkelheit gefangen zu sein und alles um sich herum zu vergessen. Sie hatten sich eine Woche lang in der Ca’ Friedland versteckt. Rosalie hatte mehr und mehr menschliche Züge an sich wiederentdeckt.
»Los, geh schon«, sagte er.
»Zu Befehl, Meister.«
Der Spott war unüberhörbar.
41
D anach habe ich mich gesehnt …
Das Bett war genau wie in ihrer Erinnerung: ein mächtiges Eichengestell, die untere Matratze mit Stroh, die obere mit Wolle gefüllt. Darüber ein Federbett mit allerfeinsten Gänsedaunen.
Die vier Bettpfosten waren nicht ganz so groß wie in ihrer Erinnerung, aber jeder mächtig wie eine junge Eiche. Die schweren Vorhänge an den Seiten waren mit Samtbändern zusammengebunden. Im Winter würden sie sie warm halten, aber es war Sommer, und Giulietta wollte den Himmel sehen. Den Himmel über ihrem eigenen Land.
Giulietta sah ihre Mutter vor sich, wie sie auf dem Bett gesessen hatte. Sie litt an Kopfschmerzen, doch sie lächelte dem kleinen Mädchen in der Tür zu. Zoe di Millioni war eine reiche Frau gewesen, die sich ein Bett mit zwei Matratzen in jedem ihrer Anwesen leisten konnte. Die meisten Adeligen besaßen nur ein Bett und mussten es auf Reisen mitnehmen. Ihre Mutter hatte sechs Betten gehabt.
Heute Nacht werde ich tief und fest schlafen, dachte Giulietta.
Zum ersten Mal seit Wochen würde sie einfach die Augen schließen und bei Tagesanbruch wieder erwachen. Keine Albträume würden sie verfolgen, keine gesichtslosen Mörder, keine plötzlichen Stürze aus großer Höhe. Kein Leo, der gestillt werden wollte. Das Bett gehörte ihr und ihr Körper ebenfalls.
»Ich wasche mich selbst«, sagte sie zu Gräfin Eleanor.
»Seid Ihr sicher?«
»Aber ja. Wir sehen uns morgen früh.« Sie verabschiedete die überraschte Eleanor mit einem Kuss auf die Wange.
Irgendwo dort draußen in den Hügeln von Mofacon war Tycho.
In seiner ganz eigenen Art und Weise würde er beobachten, wie der Mond aufging, während ihm der Wind durch das Haar strich. Die Vorstellung gefiel ihr. Und was war mit diesem verwilderten Mädchen, das sie ihm zuliebe versteckt hatte? Sie tat dasselbe.
Sie legte ihre Kleidung ordentlich zusammen, wusch sich Gesicht und Hände und kniete wie jeden Abend nieder, um zur
steinernen Mutter
zu beten.
Leopold hatte sie deswegen ausgelacht.
Ob sie wirklich glaube, irgendjemand dort draußen könne sie hören. Es war ihr erster Streit. Schließlich versuchte es Leopold mit der Bemerkung, Frauen fänden
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