Blätter treiben im Wind (German Edition)
neben meiner Arbeit als Farmer mit dem Ausfahren von Milch in den Wohnsiedlungen von Burlington. Dort sah ich Sie! Diadora. Sie war so unglaublich schön in ihrem Sommerkleid. Ihre schulterlangen braunen Haare hatte sie an diesem Tag hochgesteckt. Gerade als sie die Milch reinholen wollte, sah ich tief in ihre Augen. Sie sagte mir später immer wieder, dass sie da schon wusste, dass sie mich einmal heiraten werde. Das hat sie tatsächlich gesagt. Ich war da nicht ganz so schnell. Natürlich fand ich Diadora attraktiv, aber meine damalige Schüchternheit hinderte mich etwas daran. Doch Diadora pustete sie weg, so, als wenn sie von einer Blume den Blütenstaub wegpustete. Nach einer Woche, in der wir jeden Abend miteinander verbrachten – ohne Einwilligung unserer Eltern – war es dann auch um mich geschehen. Ein Jahr später heirateten wir dann. Ich war mit Diadora über einundsechzig Jahre verheiratet. Jedes Jahr ein neues Erlebnis von dem ich keine einzige Sekunde missen möchte. Dieses Haus hier auf dem Hügel über den Mackville bezogen wir Ende der Fünfziger. Strom gab es hier noch nie. Der See war unser Kühlschrank und auch einen Teil unseres Essensbedarfs schöpften wir daraus. Die Winter waren verdammt kalt, aber wir saßen beide nahe zusammen vor dem wärmenden Kaminfeuer in einer Decke eingemummt und sahen uns oft Stunden nur an. Wir sprachen kein Wort. Unsere Augen erzählten die Geschichten. So vergingen die Tage. 1965 erlebte ich, dass Vermont erstmals mehr Einwohner als Kühe hatte. Ein historisches Ereignis, Tom.«
Tom Avellone lauschte nur. Es war ihm unmöglich Cooper zu unterbrechen.
»Geld verdienten wir uns mit einer kleinen Farm, die im Tal lag. Sie brannte 1985 aus. Durch Brandstiftung wurde damals vermutet. Gefasst hat man aber nie jemanden. Die Versicherung zahlte eine hohe Summe. Diadora war so klug, über meinen Kopf hinweg eine abzuschließen. Ich muss ihr heute immer noch dafür danken. Da fing es an, dass die Mackviller uns schnitten. Diadora ja weniger, aber mich. Sie waren neidisch, fand ich. Neid kann manchmal schlimmer sein, als purer, blanker Hass, Tom.«
»Ja, Coop. Ich kenne das von meinem Geschäft«, sagte Tom, »ehemaligen Geschäft«, verbesserte er sich. »Was ist mit Kindern? Habt ihr welche?«
Cooper standen Tränen in den Augen. Er holte ein Baumwolltaschentuch aus seiner, ihm viel zu weit gewordenen, Stoffhose hervor. Das Alter zehrte ihn täglich ein Stück weiter aus. Er tupfte damit auf seine Augen.
»Wir hatten einen fünfjährigen Sohn, Bob hieß er. Er war ein hellblondes kleines Engelchen. Eine Sekunde Unachtsamkeit von Diadora und mir brachen uns damals fast das Herz. Beide wollten wir nicht mehr weiterleben. Wir waren damals dreizehn Jahre verheiratet. Wir gingen hier in den Wäldern spazieren. Es war im Dezember. Für Bob war es immer das Größte. Er wäre ein echter Naturbursche wie sein Vater geworden. Er liebte die Natur. Der Schnee lag meterhoch. Eine weiße Pracht so weit das Auge reichte. Bob lief immer neben uns her, doch ich gab Diadora einen Kuss, und das war diese eine Sekunde, die unser beider Leben damals beinahe zerstört hätte.«
Cooper lief eine Träne über die gezeichnete Wange, die viele zähe Winterstürme überstanden hatte.
»Er musste weggerutscht sein. Wir hörten nur einen leisen Schrei aus der Entfernung. Sofort rannten wir in die Richtung, aus der der Laut gekommen war. Bob war einen Abhang hinuntergestürzt und direkt auf einen großen Stein gefallen. Er brach sich das Rückgrat. Bob war sofort tot.«
Tom stand von seinem Stuhl auf, kniete sich neben Coop und nahm den alten Mann in die Arme. Er drückte ihn fest zu sich heran. Worte wären jetzt Stiche in verheilte, aber immer noch schmerzende Wunden gewesen. Tom schwieg. Es verging einige Zeit in Stille. Nur die Natur sprach mit ihrer sympathischen Stimme.
»Nach Bobs Tod war der Wunsch nach einem weiteren Kind nie mehr sehr groß. Diadora und ich brauchten über fünf Jahre um wieder ein einigermaßen normales Leben zu führen. Durch diese Hölle wollten wir nie wieder gehen.« Cooper setzte kurz ab.
»Das Haus hier ist alles was geblieben ist. Es hat eine besondere Magie. Diese viele Stunden von unzerstörbarer und leidenschaftlicher Liebe haben diesem Haus diese Magie verliehen. Außer in den fünf Jahren nach Bobs Tod gab es nicht einen Streit mit Diadora in diesem Haus. So viel durch Liebe erzeugte Energie wie hier, steckt an keinem anderen Ort der Welt.«
Cooper
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