Blamage!
steif und wortlos nebeneinandersaÃen, und Marie Antoinette nur in den seltensten Fällen tatsächlich etwas zu sich nahm (zeitweise galt es als besonders fein, trotz aller aufgetischten kulinarischen Sensationen nichts zu essen oder allenfalls eine Bouillon zu schlürfen). Selbst das Liebes- und Eheleben des königlichen Paares war Gegenstand öffentlichen, sogar internationalen Interesses, vor allem die sieben Jahre währende Kinderlosigkeit von Marie Antoinette und Ludwig XVI. Offenbar hatte Marie Antoinette ihrem Bruder, dem österreichischen Kaiser Joseph II., verraten, wie es im Bett so lief. Joseph wiederum hielt dies in einem Brief fest, in dem er über seinen französischen Schwager schrieb: »Er ist ein biÃchen ein Schwächling, aber kein Dummkopf [â¦]. Das Geheimnis liegt im Ehebett. Er hat ausgezeichnete Erektionen, führt sein Glied ein, verharrt dort regungslos vielleicht zwei Minuten lang, und ohne sich zu ergieÃen, zieht er sein immer noch aufrecht stehendes Glied zurück und wünscht seiner Frau Gute Nacht.« 26 So konnte es natürlich mit dem Nachwuchs nichts werden.
In der Hofgesellschaft jener Zeit wurde unablässig posiert, in Szene gesetzt, geschauspielert. Alles war künstlich, und die wahre Kunst bestand darin, selbst scheinbar intime, »natürliche« Situationen durch geschickte Regie herbeizuführen. Eine Dame machte ihre intime Toilette nicht etwa deshalb in Gegenwart von Bekannten und Gästen, weil sie peinlicherweise überrascht worden wäre, sondern weil sich beim Schminken und Frisieren ideale Gelegenheit für delikate Posen aller Art ergaben â vergleichbar mit dem scheinbar peinlichen Moment des Strumpfbandrichtens, bei dem die Dame in einer dramatischen Handlung sämtliche Röcke raffen musste, und so alle Blicke auf sich ziehen konnte. Zur abgefeimten Maskerade und Schauspielerei der französischen Gesellschaft im 18. Jahrhundert gehörte es auch, sich bei Bedarf als »verlegen« und »unschuldig« zu inszenieren. Es gab sogar Taschentücher, die chemisch imprägniert waren, sodass sie eine Rötung hervorriefen, wenn man sie ans Gesicht hielt. Das Erröten wirkte dann umso effektvoller, je porzellanartiger der Teint der Dame war â die Modehautfarbe jener Zeit war bekanntlich weiÃ. Gesunde Apfelbäckchen oder gar sonnengebräunte Haut galten als peinlich und bäurisch. Durch Puder oder kontrasterzeugende schwarze Schönheitsflecken, oft in Form von »Schminkpflästerchen«, wurde notfalls nachgeholfen, um den Teint noch heller erscheinen zu lassen. Die Kleider- und Haarmode folgte in der Regel den höfischen Vorbildern. Die junge attraktive Königin Marie Antoinette â sie war im Alter von 14 Jahren verheiratet worden â setzte im Ancien Régime die entsprechenden Impulse. Einmal, so berichtete ihr Starfriseur Léonard nicht ohne Befriedigung, habe Marie bei einem Opernbesuch einen Tumult ausgelöst, denn jeder wollte als Erster einen Blick auf ihre neue Frisur werfen: »Die Leute auf dem Parkett zerdrückten sich in dem Verlangen, dieses Meisterstück zu sehen. Drei Arme wurden ausgekugelt, zwei Rippen gebrochen, drei FüÃe zerquetscht â kurz, mein Triumph war vollkommen.« 27 Die Königin selbst soll es als peinlich-lächerlich empfunden haben, wie die Hofdamen und Frauen unterer Stände sich bemühten, ihren Stil nachzuahmen. Einmal lieà sich Marie Antoinette beim Opernbesuch sogar Radieschen in die Perücke stecken, um zu sehen, wie weit ihre Autorität als Modevorbild reichte â die ironische Geste wurde allerdings verstanden, und der Radieschen-Look blieb aus. Die Kostümbesessenheit jener Epoche war enorm, keine Modetorheit wurde ausgelassen, so war zeitweise ein opulenter Federschmuck en vogue , peinlich nur, wenn diese fashion victims in einen Regenguss gerieten und sich ihr elegantes Erscheinungsbild binnen Minuten in das Aussehen nasser Hennen verwandelte. Der Mode- und Frisurenwahn erfasste, von oben ausgehend, auch die mittleren und unteren städtischen Schichten. Es entstand ein reger Handel mit bezahlbarer Secondhand-Bekleidung und gebrauchten Perücken. Auf diese Weise geriet die Kleiderordnung bedrohlich ins Wanken, und es häuften sich peinliche Begebenheiten, bei denen etwa Köche oder Lakaien schicker auftraten als die Gäste und Herrschaften.
Impertinente VerstöÃe gegen den
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