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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Saehrendt
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zwischen »bewegend« und »blamabel«. Um einen kleinen Eindruck davon zu vermitteln, dass die Kultur- und Sittengeschichte eben auch immer eine Geschichte der Peinlichkeiten ist, richten wir den Blick zunächst exemplarisch auf die höfische Kultur Frankreichs, bevor wir unseren Streifzug im 19. und 20. Jahrhundert fortsetzen.
    Ridicule! – Blamieren bei Hofe im 18. Jahrhundert
    Der Begriff der »Blamage« wurde im 18. Jahrhundert mit der Bedeutung »Beschämung« oder »Schande« aus dem französischen blâmer (= tadeln) entlehnt. Das französische blâmer ging wiederum auf das lateinische blasphemare (= lästern, schmähen) zurück. Das Verb »blamieren« in der Bedeutung »bloßstellen, beschämen« wird im deutschen Sprachraum bereits seit dem 17. Jahrhundert verwendet. Der französische Hofstaat und an seiner Spitze der König waren in ganz Europa das Leitbild für alle Fürstenhöfe und alle gebildeten Menschen. Ob in der Sprache und Literatur, in den Sitten und Gebräuchen, ob im Theater und in der Kunst: Alle versuchten dem Vorbild Versailles möglichst nahezukommen. Dabei waren strenge Regelwerke und Formvorgaben einzuhalten, um sich nicht zu blamieren. Allein der König stand über allen Dingen und war womöglich der einzige Mensch im Staat, dem absolut gar nichts peinlich zu sein brauchte. So hatte Ludwig XV. nichts daran auszusetzen, eine Dame zweifelhafter Abkunft zur Hauptmätresse zu machen, über die sich die Hofgesellschaft das Maul zerriss: Madame du Barry (geb. 1743) war als Marie-Jeanne Bécu in äußerst ärmlichen Verhältnissen geboren worden, als uneheliche Tochter einer Näherin. Als sie nach Paris kam, arbeitete sie zunächst in einem Modehaus und später als Prostituierte. Der Graf Jean-Baptiste du Barry gabelte sie eines Tages auf und versuchte, die Blondine dem König als Mätresse zu vermitteln, um auf diese Weise mehr Einfluss am Hof zu erhalten. Um ihre blamable Herkunft zu verschleiern, ließ er ihre Geburtsurkunde fälschen und verheiratete sie pro forma mit seinem Bruder. Der Plan ging auf: Im April 1769 konnte sie als Adlige am Hof eingeführt werden und vermochte den alten König bald mit ihrem Charme und ihren Reizen zu betören. Sie bekam von ihm eigene Wohnräume in Versailles, großzügige Unterstützung, Schmuck und sogar ein eigenes kleines Schloss zur Verfügung gestellt. Trotzdem verstummten die Gerüchte um ihre Herkunft nicht. Nach der bürgerlichen Mätresse Madame du Pompadour (1721–1764) galt die ehemalige Prostituierte du Barry als noch peinlicherer Missgriff des Königs.Und es war wohl kein Zufall, dass sie nach der Revolution am 8. Dezember 1793 unter außergewöhnlich demütigenden Umständen hingerichtet wurde – war sie doch zum Sinnbild für die »Verkommenheit« der Bourbonen geworden.
    Zurück zum Vorgänger Ludwigs XV., dem großartigen Ludwig XIV., der es etwa keineswegs blamabel fand, weder lesen noch schreiben zu können, er hasste Bildung geradezu und verhehlte dies auch nicht. Ein Charakteristikum im Leben des Königs war der Mangel an Intimität. Das höfische Zeremoniell erlaubte dem Regenten oder seinen Söhnen nur seltene Momente der Privatheit. Alles, was sie taten, war staatstragend, war in gewisser Weise öffentlich, selbst das Entleeren des Nachttopfes oder das Verrichten des großen Geschäfts, bei dem bisweilen Gäste vorgeladen waren, um den Herrscher oder seine Nachkommen zu unterhalten. So berichtete die Herzogin von Orléans, Elisabeth Charlotte, im Jahr 1716, dass sie nun schon oft dem Herzog Ludwig von Burgund, Sprössling Ludwigs XIV., bei der Verrichtung seiner Notdurft hatte assistieren dürfen: »Er hatte gern, daß man ihm auf dem Kackstuhl entretenirte, aber es ging gar modest, denn man sprach mit ihm, und wandte ihm den Rücken zu, ich habe ihn so schon oft entretenirt, in seiner Gemahlin Kabinett, die lachte von Herzen darüber …« 25 Erst recht waren die Mahlzeiten des Königs ein öffentliches Ereignis. Das öffentliche Diner von Ludwig XVI. und Marie Antoinette in Versailles war selbst niederen Ständen zugänglich (was ausländische Besucher sehr erstaunte), sofern sie sich an eine bestimmte Kleiderordnung hielten. Wie bei einer Safari drängten sich die Schaulustigen um die Essenden, wobei König und Königin

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