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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Saehrendt
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Bestandteil der Medienberichterstattung. Im Skandal potenziert sich die Peinlichkeit. Im Skandal versammelt sich eine Menschenmenge zur Gesinnungsgemeinschaft, wird zur Partei, stellt Forderungen auf und verlangt die Beseitigung eines Missstandes. Die Beteiligten, die Kontrahenten stehen dabei für unterschiedliche Moralvorstellungen, die um die gesellschaftliche Hegemonie streiten. Komplexe Vorgänge und Strukturen werden mithilfe der Medien so vereinfacht und personalisiert: Es gibt Helden und Antihelden, Prominente aller Art schalten sich ein und kommentieren das Ganze, heizen die Geschichte an oder springen den Belasteten bei. Am Ende steht meistens die öffentliche Entschuldigung und Resozialisierung des Übeltäters, der seine Verfehlungen eingesehen hat.
    Ein guter Skandal ist für den Entdecker bzw. für das aufdeckende Medium ein hochprofitables Ereignis, mit dem man einerseits politische und moralische Integrität beweisen und andererseits finanzielle Gewinne machen kann – durch die Ausschaltung von Konkurrenten, die Auflagensteigerung oder hohe Einschaltquoten. Peinliches zu finden, das als Material für Skandale dienen kann, ist allerdings eine Kunst. Also wird von interessierter Seite alles Mögliche für peinlich erklärt und zur Anstoßnahme empfohlen, doch die meisten Versuche, das Publikum zu erregen, scheitern. Der Philosoph Peter Sloterdijk schätzt, dass in jeder modernen Nation täglich 20 bis 30 Erregungsvorschläge lanciert würden. Wenn der Anlass zu unbedeutend oder nicht entscheidende Multiplikatoren erreicht wurden, bleibt der Skandal jedoch aus (und das ständige Angebot von Skandalen führt natürlich auch zu einer gewissen Abstumpfung). Hat sich der Skandal aber erst einmal entwickelt, ist er hochgradig ansteckend. Eine peinliche Affäre infiziert alles, was in ihren Umkreis gelangt, harmlose Verbindungen und Bekanntschaften der skandalisierten Personen werden plötzlich verdächtig, der Skandalgeruch haftet jetzt auch ihnen rasch an.
    Andererseits haben große Skandale manchmal erstaunlich geringfügige Folgen. Diese Aufmerksamkeits- oder Beachtungsexzesse sind zum großen Teil Selbstzweck und verpuffen deshalb häufig wirkungslos (»Ein unerhörter Wirbelsturm treibt einen Unterstaatssekretär in den vorzeitigen Ruhestand!«). Der peinliche Skandal gleicht einem Ritual, in dem viele symbolische Gesten vollzogen werden, und die meisten Beteiligten wissen, dass er eigentlich nur ein Gemisch von Fiktionen, Gerüchten und Verdächtigungen ist und von Emotionen und übersteigerten Vorstellungen befeuert wird. Der Skandal ist ein Spiel mit ungewissem Ausgang. Wer von ihm letztlich am meisten profitiert, wen er schädigt und wen er bestätigt, ist zu Beginn völlig ungewiss. Andererseits zeigen Skandale auch, welche Macht diejenigen, die von peinlichen Enthüllungen betroffen sind, haben. Verlieren sie ihre Reputation, ihre gesellschaftlichen oder politischen Positionen oder können sie die Blamagen überstehen Wird ihr Fehlverhalten sogar zum neuen Vorbild? Haben sie als Trendsetter die Macht, Verhaltensweisen, die bislang als peinlich galten, als erstrebenswert erscheinen zu lassen? Können sie ein neues Image als »sympathische Sünder«, als »Rebellen gegen den Konformitätsdruck« generieren? Die Peinlichkeitsgrenzen zu verschieben, zu definieren, was wirklich blamabel ist, und dies gegen seine Gegner ins Feld zu führen, ist ein wichtiges Instrument im politischen Wettbewerb. Peinlichkeit dient hier als Waffe, als Drohung, den Kontrahenten von seinen Wählern und Unterstützern sozial zu isolieren, dafür liefert die Geschichte und die Gegenwart unendlich viele Beispiele.
    In autoritären Systemen gibt es keine Skandale, höchstens diejenigen, die von den Regimes bewusst inszeniert werden, um politische Gegner zu stigmatisieren oder einzelne politische Rivalitäten unter den führenden Gruppen und Personen auszufechten, wie bei den berüchtigten Schauprozessen der Nazi-Zeit oder des Stalinismus. Der Skandal ist letztlich eine Errungenschaft der freien, pluralistischen Gesellschaft mit Gewaltenteilung und unabhängigen Medien. Im Aufdecken von Blamagen der Mächtigen und Berühmten werden die herrschenden Normen und Tabus sichtbar gemacht. Auf diese Weise reagiert eine freie Gesellschaft auf die Fehlentwicklung von Organisationen oder prominenten Personen. Gesetze,

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