Blamage
aufrappelnden Mitmenschen in die Augen zu sehen und wenden Ihnen stattdessen Ihr prächtiges Hinterteil zu.
Im Theater beleidigt werden
Publikumsbeleidigung gehört zum Standardprogramm des heutigen Regietheaters. Obwohl ja alle wissen, dass es nicht persönlich gemeint ist, zucken diejenigen Zuschauer doch merklich zusammen, die von den Schauspielern ausgewählt wurden, um von der Bühne herab als »SpieÃer«, »Fotze« oder »Wichser« betitelt zu werden (in früheren Zeiten konnte so etwas durchaus Schlägereien auslösen, doch heute ist das Publikum vollkommen handzahm). Pionier in dieser Disziplin war zweifellos der unsterbliche Klaus Kinski, der die Zuschauer bisweilen als »dumme Säue« titulierte und Zwischenrufer schon mal hinter die Bühne zitierte, um ihnen nach der Vorstellung was auf die Nase zu geben. Christoph Schlingensief bemühte sich seinerzeit redlich in Kinskis FuÃstapfen zu treten. Unvergessen ist seine groteske Hamlet -Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus im Jahr 2001, als er dem murrenden Publikum entgegenschleuderte: »Sie sind hier und haben eine Karte bezahlt, um die Klappe zu halten.« Und einer älteren Theaterbesucherin, die empört den Saal verlieÃ, rief er hinterher: »Gehen Sie bitte ins Bett und schlafen Sie durch, bis Sie tot sind, das dauert bei Ihnen ohnehin nicht mehr so lang.« 75
Im Theater als Einziger applaudieren
Sie haben soeben dem gesamten Publikum demonstriert, dass Sie das Stück sprachlich oder inhaltlich nicht verstehen, dass Sie kein Gespür für dramaturgische Höhepunkte haben. Sie sind ein Vollidiot. Oder doch ein poststrukturalistischer Avantgardist? Die einzige Rettung: Klatschen Sie nun immer wieder an ungewöhnlichen Stellen, um eine neue dekonstruktivistische »Lesart« des Stücks zu etablieren, und sich als intellektueller Trendsetter zu profilieren! Das Publikum wird Ihnen sicher bald folgen.
Zu viel Applaus spenden
In den letzten Jahren hat sich die Unsitte verbreitet, bei Konzerten oder im Theater selbst mittelmäÃige Darbietungen mit inflationärem Applaus zu bedenken, und auf diese Weise mehrfache Vorhänge oder Zugaben herauszuholen. Ein Ausdruck spieÃigen Knausertums: Man möchte möglichst viel für sein Geld haben, oder sich durch die Klatschorgien autosuggestiv einreden, man habe ein groÃartiges Kulturerlebnis gehabt. Tatsächlich zeigt ein Publikum, das hemmungslos alles beklatscht, dass es zwischen guten und schlechten Leistungen gar nicht mehr unterscheiden kann â oder will.
Enthusiastisch »Bravo«, »Brava«, »Bravi« oder »Da capo« rufen
Ãbertriebene Lobhudelei in pseudoitalienischer Manier ist bei den allermeisten Darbietungen hochgradig blamabel. Ãberhaupt gilt bei Hochkulturveranstaltungen die ungeschriebene Regel, seine Emotionen zu beherrschen. Man genieÃt kennerhaft-cool im Inneren, im Stillen. Man ruft sich nicht laut im Museum etwas zu (»Ey, guck maâ hier, ey«!), weint und kreischt nicht im Theater, pfeift nicht beim klassischen Konzert mit â auÃer, man hat kein Problem damit, als unkritische, überspannte oder proletenhafte Person ohne geschmackssicheres Urteilsvermögen zu gelten.
Keinen Applaus bekommen
Dünner, rasch ersterbender oder gar völlig ausbleibender Applaus ist natürlich für alle, die auf der Bühne stehen, eine peinliche Angelegenheit. Man kann es sich heute kaum vorstellen, aber fast alle Superstars hatten irgendwann in ihrer Karriere (meistens ganz am Anfang, manche auch ganz am Ende) ein derartiges Erlebnis, so auch Madonna, die mit Tanz-Begleitung 1984 in der britischen Fernsehsendung The Tube auftrat. Madonnas Bruder erinnert sich an dieses Gastspiel vor einem Studiopublikum in Manchester: »Normalerweise fangen die Zuschauer während âºHolidayâ¹ an zu tanzen. Aber nicht dieses Mal. Sie stehen einfach nur da und sehen zu, mit teilnahmslosen Gesichtern. Dann fangen sie plötzlich an zu buhen und mit Dingen nach uns zu werfen. Ich werde von einer zusammengeknüllten Serviette getroffen, Madonna von einem Brötchen.« 76
Kein Publikum haben
Noch schlimmer ist es für Künstler und Veranstalter, wenn das Publikum ganz ausbleibt, leere Stuhlreihen im Theater gähnen, sich in einen groÃen Ausstellungsraum oder Konzertsaal nur ein Häuflein Besucher verirrt, denen wiederum peinlich ist, dass sie so einen
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