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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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Die Frage nach dem, was folgen soll. Er war ein mittelmäßiger bis schlechter Schüler, aber nicht, weil seine Leistungen dem seiner Intelligenz entsprachen, sondern weil er die Schule nicht mochte. Hunderte von Kindern und Jugendlichen, die sich in Begabung und Neigung unterschieden, waren gezwungen, in demselben Gebäudekomplex identisches Wissen zu sammeln. Was für Marcus in der Grundschule noch Sinn machte, verstand er auf dem Gymnasium nicht mehr.
    Er mochte die Lehrer nicht, die meisten anderen Schüler (auch wenn er nicht mehr wusste, wer zuerst begonnen hatte, den anderen zu meiden) und vor allem mochte er die Pausen nicht. Minuten um Minuten des Wartens verstrichen, die mit irgendwas gefüllt werden sollten, ja, mussten: oberflächliche Gespräche, worin es die meisten zur Meisterschaft brachten und Marcus damals noch kläglich versagte, Zigaretten rauchen, schnell was zu Essen kaufen im Kiosk nebenan. Wären Karsten, Henning und Frank nicht gewesen, Marcus hätte nur noch lesend in einer Ecke gehockt und wäre ganz in seiner Welt verschwunden. Manchmal floh er zum Kanal, der über eine Straße hinweg an das Schulgebäude grenzte, und erst zum zweiten Pausenklingeln kam er wieder.
    Nach der zehnten Klasse aber kam er gern zur Schule, was nicht nur an dem absehbaren Ende dieser Lebensphase und seiner Freundin Jasmin lag. Es hatte sich herum gesprochen, dass Marcus zauberte und fortan fanden sich auf dem Schulhof willige Probanden und, noch wichtiger, ein staunendes Publikum. Selbst die Jungs, die Marcus (und vielen anderen) über all die Jahre das Leben schwer gemacht hatten, bekamen dieses Leuchten in den Augen, wenn ein Trick das Finale erreichte. Vielleicht war Marcus wirklich gut oder die anderen Schüler zu dumm, aber seine Tricks funktionierten ein jedes Mal.
    Marcus verblüffte jeden und zum ersten Mal ahnte er, wie Damon Black sich fühlte. Das waren die Momente, für die er leben wollte, für die es sich lohnte.
    Ein Auftritt bei seiner Abi-Verleihung, sein insgesamt siebter in der Schulaula, bescherte ihm einen von Applaus begleiteten Abschied jenseits des Dreier-Durchschnitts seines Abiturs. Professionelle Auftritte blieben bis heute aus (schließlich weigerte er sich, sich klassisch zum Zauberer ausbilden zu lassen), aber so lernte er wenigstens, dass ein Blatt Papier, auf dem ein Beruf bescheinigt wird, wichtiger war, als die tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Menschen (Marcus glaubte, nicht viele vermochten mit 'Smoke' zu überzeugen).
    Nach seinem Zivildienst und hilflosen Praktika in Verlagen und einem lokalen Fernsehsender (alles nur, um die Zeit zu füllen, nichts ernsthaft in Erwägung gezogen), landete Marcus im Alter von dreiundzwanzig Jahren in einer Fortbildungs-Maßnahme der Grone-Schulen, finanziert vom Arbeitsamt. Dort waren sie wieder, die nicht wussten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten, doch diesmal, anders als in der Schule, gab es keine anderen mehr, die diese Planlosigkeit verschluckten. In der Grone-Schule waren alle planlos. Wieder frontaler Unterricht, wieder Bewertungen und Vorschläge, und Pausen, die gefüllt werden sollten.
    Dieses Mal sprach sich nicht herum, dass Marcus zauberte, jedoch dass er gute Beziehungen zu einem Dealer hatte (was ihm einen kleinen Nebenverdienst und den Respekt der Jungs einbrachte). Kein krönender Abschluss dann, kein Applaus, aber eine Empfehlung.
    „Herr Blank“, sagten sie, obwohl es nur einer war, der es aussprach, aber alle Lehrer der Grone-Schule schienen dieses Potential zu sehen, „Herr Blank, Sie sollten studieren. Sie wollen noch lernen, das merke ich. Das merken wir ! Eine Ausbildung ist aber nicht das Richtige für Sie. Sie sind auf der Suche nach Ihren Fähigkeiten, was sie wirklich im Leben wollen und können, und Antworten finden Sie am besten an der Universität.“ Während alle anderen aus seinem Kurs in Ausbildungen oder Kurzarbeit verfrachtet wurden, hieß es für Marcus also: „Studieren Sie, Herr Blank, das empfiehlt Ihnen die Grone-Schule.“ 
    Eine Bewerbung im Januar letztes Jahr und drei Monate später saß er in den ersten Vorlesungen und Seminaren des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Universität Hamburg, und ließ Monologe über sich ergehen, die meist so eckig waren wie die Gebäude des Campus'.
    Und dann?, denkt Marcus, ja, dann kam Anna. Ende der Geschichte. Marcus spielt mit dem Gedanken, sein Studium abzubrechen. Was soll er jetzt noch dort? Nächste Woche sollen Anna und er

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