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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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Weltverbesserer, die linke Spinner und Übleres genannt werden, aber Marcus möchte die Welt nicht verbessern, er möchte eine andere Welt, das ist alles).
    Marcus nimmt einen tiefen Schluck kalten Kaffee. Noch immer trägt er Shirt und Jogginghose, in der er geschlafen hat, versucht hat zu schlafen seit zwei Nächten, und er fühlt sich nicht nach Aufstehen vom Sofa, nach Duschen, nach Anziehen und Losgehen. Seine Schicht beginnt in einer Stunde. Von Hamm sind es nur wenige Stationen mit der S-Bahn. Und dennoch...
    Dennoch fühlt sich Marcus nach nichts, der kurze Moment des Befreiens von seiner Beziehung, dieses Loslassen und Weglaufen, ist vergangen. Marcus fühlt sich taub, wie so oft, doch diesmal rast gleichzeitig alles durch seinen Kopf. Das wütende Gefühl im Laufrad, ein Kreislauf, aus dem er nicht entkommt. Marcus möchte fliehen und weiß nicht wohin. Marcus möchte etwas zerbrechen, seinen Kaffeebecher an die Wand schmeißen und der zerspritzten schwarzen Flüssigkeit beim Zerlaufen zuschauen, einem Muster ohne System. Marcus  hat aufgehört zu kiffen und das tut weh. Darum schläft er nicht, darum hat er sich gestern in seiner Wohnung verkrochen und stundenlang im Internet Videos geschaut, darum sitzt er ungewaschen auf dem Sofa und bewegt sich nicht, darum will er nicht leben, obwohl er nicht mehr kiffen will, weil er das Leben wieder spüren will.
    Das echte Leben. Unverfälscht.
    Marcus trinkt den Kaffee aus und geht ins Badezimmer. Sein hageres Gesicht blickt ihm müde entgegen, seine Haut ist blasser als sonst, wenn das möglich ist. Die langen schwarzen Haare hängen auf seine Schultern, fettig und ohne Glanz. Das Piering in seiner Lippe schimmert schwarz.
    Marcus öffnet den Verschluss und nimmt es heraus. So lange steckt es schon darin, dass er seine Haut ein Stück weit mit zieht, als er den Stecker entfernt. Was bleibt ist ein kleines Loch. Ohne dem Metall im Mund fühlt er sich leichter, mehr als er selbst, befreit von einer Fessel, die er sich selbst anlegte. Dann geht er duschen.
     
    FRANK ZU TREFFEN ist wie nach Hause zu kommen. Über all die Jahre seit der Grundschule scheint er kaum verändert.
    Seine Gedanken vermag er nun in die passenden Worte zu kleiden und sein Wissen über die vernetzte Welt der Computer ist immens gewachsen seit damals. Mittlerweile ist er keine Jungfrau mehr (führte öfter eine Beziehung als Marcus) und seine Stimme ist natürlich tiefer, männlicher als früher. Aber das sind nur Veränderungen, die das Heranwachsen mit sich bringt. Dieses Lebensbejahende, das oft ansteckend wirkt, und gleichzeitig tief Nachdenkliche, das Marcus in seinen Bann zog und zieht, ist geblieben, war schon in der Grundschule vorhanden.
    Marcus entschied schon vor langer Zeit, dass es nicht nur an den Erfahrungen eines Menschen liegt, ob er nur dunkel oder hell sieht. Frank verlor seinen Vater vor achtzehn Jahren bei einem Autounfall, vor vier Jahren starb seine Großmutter an Alkoholismus, und zwei seiner Freundinnen hatten ihn über mehrere Monate hinweg betrogen (um nur die stärksten Ausschläge auf Franks Lebensweg zu erwähnen). Und trotzdem war und ist Marcus der eher depressive, während sein Freund das positive Pendant zu bleiben scheint. Und die Offenheit wirkt bei Frank niemals aufgesetzt.
    So begrüßt sein Freund ihn mit einem breiten Lächeln, ein Grinsen der Freude, als er die Tür öffnet, und umarmt ihn wie einen Bruder, fest und herzlich. Eine Geste, die Marcus sich nie von Karsten erhoffen würde, nicht nur weil er unangenehm riecht. Karsten ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als nach außen wirken zu können. Er war es schon immer, aber die letzten Jahre haben es verfestigt.
    „Wie geht es dir?“ fragt Frank, als sie in sein Wohnzimmer gehen. Marcus fällt auf, dass ihm Anna diese Frage niemals stellte, jedenfalls kann er sich nicht daran erinnern.
    „Beschissen“, antwortet er ehrlich.
    „Das habe ich mir gedacht. Warum sonst hättest du mich sofort treffen wollen, obwohl du arbeiten musst? Ist es Anna, das Studium oder das Kiffen, das dir so zu schaffen macht?“
    „Alles“, erwidert Marcus und setzt sich auf einen Stuhl am Tisch. Frank hat ihn durch das Wohnzimmer in die Küche geführt, wo das Klacken einer Kaffeemaschine und der Duft von frisch gebrühnten Bohnen Marcus entspannen lassen. Er fühlt sich wohl, wie immer, wenn er hier ist. Viel zu selten in letzter Zeit.
    „Verstehe“, sagt Frank und setzt sich Marcus gegenüber. „Das

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