Blanks Zufall: Roman
schmerzt in seinem Kopf. Wenn er atmet, sticht es in seiner Brust.
Vorsichtig, denkt er, und stützt sich am Boden ab. Seine linke Hand presst er dabei in Feuchtigkeit. Als er steht, was lange dauert, weil er sich Zentimeter um Zentimeter an der Wand aufrichtet, sieht er wieder diese rote Flüssigkeit, wischt sie an seinem Pullover ab.
Überall diese Körper, von einigen kommen Laute, von den meisten nicht. Und vor ihm liegt, inmitten seiner eigenen Lache, Frank. Regungslos und ohne Laut.
Marcus taumelt zu ihm, steigt dafür über Hugo. Einer der wenigen Gefallenen, die ächzen. Seine Knie zittern, als er sich neben seinen Freund hockt, beinahe verliert er das Gleichgewicht. Marcus ist nun so nah, dass er sehen kann und wünschte, er könnte es nicht.
Franks Gesicht ist weiß vor Blutverlust, die Maske eines Sterbenden, vereinzelt auf Wange und Stirn sind dunkle Flecken derselben Flüssigkeit. Seine Schulter und die rechte Seite seines Halses triefen nass vor Wunden. Das Hemd, das er an diesem Abend trug, ist zerrissen und der nackte Bauch ist zu sehen. Die Stoffhose ist seinem Freund an den Beinen hochgerutscht und entblößen die behaarten Unterschenkel, die zu den Schuhen führen, die Marcus erkannte.
Kaum wahrnehmbar hebt und senkt sich Franks Brustkorb, er atmet rasselnd. Aber er atmet, denkt Marcus, verdammte Scheiße, er atmet. Sein nächster Gedanke ist nicht mehr von dieser Freude ergriffen. Wenn Frank noch in der Bar war, als das Chaos kam, dann war es Jenny ganz bestimmt. Und all die Taubheit senkt sich, während Marcus sich wieder erhebt, sich auf den Tresen stützt, sich etwas anhebt um dahinter zu schauen. Die Taubheit senkt sich und macht Platz für etwas Neues, das Marcus seit Kindertagen nicht mehr spürte, ehrliche und aufrichtige Furcht.
Jenny war noch anwesend, als das Chaos kam.
Jenny unterhielt sich mit Frank, als das Chaos kam, und sie waren zu weit im Inneren der Bar, dass sie es zu spät bemerkten, die Panik und das Wüten, als dass sie rechtzeitig fliehen konnten. Vielleicht unterhielten sie sich über Anna, und wenn sie sich über Marcus' unerklärliche Zuneigung zu dieser Lügnerin (so nannten sie sie, wenn er nicht anwesend war, das weiß er) unterhielten, dann versankten sie in einem Gespräch, wie dumm er nur sein konnte und wie leid Marcus ihnen gleichzeitig tat. Marcus würde sagen, ich liebe Anna, Marcus würde sagen, ihr könnt das nicht verstehen, Marcus würde gerne so vieles sagen jetzt, zu Frank und Jenny, würde sie gerne lästern sehen und beratschlagen, wie sie Anna endgültig aus Marcus Leben loswerden. Marcus würde Jenny am liebsten in den Arm nehmen und ihr vorschlagen, wieder eine Nacht zu verbringen, vielleicht vergisst er Anna dann und sie finden ihre wahre Bestimmung. Marcus würde so vieles sagen, aber er sagt nur ein Wort:
„Jenny.“ Er flüstert dieses Wort, dass er sich selbst kaum hört. Sie liegt hinter ihrem Tresen. Der blonde Haarschopf dunkel gefärbt von ihrer eigenen Blutlache. Und das sie nicht mehr atmet, nicht mehr atmen kann, weiß Marcus sofort. Jennys Gesicht ist unverletzt, aber schmerzverzerrt. Ihre Kehle, ihre Schulter genauso zerrissen wie die von Frank. Marcus wird übel, als er ihren Bauch betrachtet. Ihren Bauch, den er in ihrer gemeinsamen Woche so oft küsste, als Neckerei oder auf dem Weg zwischen ihre Beine, ihr Bauch, mein Gott, ist aufgerissen. All das Innere, das Haut und Fleisch sonst verstecken und sichern, ist nach außen verkehrt. Und ihre Beine, von dem Rest getrennt, liegen zu weit entfernt, und das Einzige, was Torso und Unterleib noch verbindet ist der Darm, das längste Organ. Jennys Leiche liegt in einem Matsch aus Fleisch und Blut und Organen.
Marcus würgt. Tränen in seinen Augen, Kotze in seinem Mund. Er hebt sich wieder vom Tresen und übergibt sich auf einen der umgestürzten Hocker. Er übergibt sich noch einmal und während in seinem Kopf es immer nur schreit, Warum?!, Warum?!, Warum?!, weint er, bis er wieder kotzen muss.
„Hilf mir“, fleht jemand hinter ihm. Marcus richtet sich auf, wischt über seine Augen und dreht sich um. Hugo hat einen Arm erhoben und seine Hand winkt schwach. „Hilfe. Ich verblute.“
Trotz der tosenden Kopfschmerzen, die sich von seinem Hinterkopf aus in sein Gehirn bohren, trotz des Rauschens, trotz der Übelkeit und der Wut, trotz allem begreift Marcus, das er der Einzige ist, der jetzt Hilfe holen kann, der Einzige überhaupt in dieser Bar, der noch fähig ist, sich wie
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