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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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bewegte, wenn er das Glas in den Händen drehte.
    Johannes ging zurück zu seiner Anlauframpe, hob und senkte die Arme, ließ seine Schultern kreisen, sprang auf und ab, lockerte seine Handgelenke. Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn. Die Nacht sah weich aus, dachte er, ein schwarzes Tuch, das ihn auffangen würde, bevor er Schmerzen spürte.
    »Drei«, Johannes ging in Anlaufstellung. »Zwei«, am Himmel tanzten die Sterne, als wollten sie ihn ermutigen. »Eins«, er biss die Zähne zusammen und schnaufte, so wild pochte sein Herz. »Null«, schrie er sich selbst zu, stieß sich mit den Armen von der Wand ab und lief zum Balkon.
    Er machte einen Satz über die Schwelle zwischen Zimmer und Balkon, ruderte mit den Armen, sprang auf den Bürosessel, schwang mit allen Gliedmaßen, und plötzlich spürte er, wie sich die freie Luft anfühlte. Die Welt verlangsamte, Johannes hörte sein Blut rauschen, sein Herz schlagen, unsichtbare Frühsommernachtsinsekten blieben auf seiner Haut kleben, bis er realisierte, dass er nicht dorthin fiel, wohin er wollte. Er war zu schräg und zu hoch abgehoben, der Absprung vom gefederten Bürosessel war zu schwunghaft gewesen und hatte seine Richtung abgefälscht, brachte ihn nach oben anstatt zu Boden, viel zu weit nach rechts – Johannes kam dem Nussbaum näher, sah Glühwürmchen auf den limettengrünen Früchten sitzen. Das hatte er nicht eingeplant, nicht die Glühwürmchen und vor allem nicht den Nussbaum, dessen Äste ihm den Weiterflug versperrten. Der Nussbaum fing Johannes ab, er klammerte sich reflexartig an einen Zweig, dieser brach, und die Welt wurde wieder schnell. Kaum dass er schreien konnte, fiel er zu Boden, mitten in die Salatbeete.
    Als Johannes die Augen öffnete, pendelte der Nussbaumast über ihm und wurde umschwirrt von unzähligen Glühwürmchen, die sich über die Ruhestörung empörten. Er wollte sich aufraffen, aber sein Kopf schmerzte so bestialisch, dass er entschied, liegen zu bleiben, bis sich der Schwindel gelegt hatte. Johannes fand, die Glühwürmchen machten sich über ihn lustig – sie schwirrten, als kicherten sie. Wie bewegliche Sterne flackerten sie hin und her, zogen Schleifen, einige drehten sich im Kreis. Plötzlich kam Wind auf. Aus Richtung des Talschlusses pfiffen Böen durch St.   Peter, und die Stille wurde vom aufgeregten Rascheln der Bäume durchbrochen. Die kalten Winde prallten gegen das Haus, ließen die Fensterläden klappern. Der Schwindel ließ nach, die kalten Brisen taten seinem Kopf wohl, und Johannes merkte, dass die Sterne verschwunden waren. Plötzlich hielten Wolken den Himmel bedeckt, und Johannes kniff die Augen zusammen. Ohne seine Brille war alles verschwommen, und dennoch sah die Wolke aus wie Herodots Gesicht. Und dann begann es zu regnen, kein Wasser, sondern Glühwürmchen, oder waren es Sternschnuppen? Er spürte nichts und war doch umgeben von fallenden Lichtern, die ihre Farben wechselten, bis neun Frauen aus ihnen wurden, atemberaubend schöne Frauen, nackt, wie Gott sie schuf. Sie begannen, durch den Garten zu tanzen, tanzten um eine Statue, die aus der Erde wuchs. Johannes staunte, wie gut er auf einmal ohne Brille sah, er erkannte den Kopf, das war Herodot. Die Frauen umschlangen die Statue, bis sie zum Leben erwachte, sich der steinerne Mund öffnete und die Lippen mit lautem Tone artikulierten:
    »Jóhannes, schäme dich! Denn einst begabst du dich mir zum Dienste!« Johannes erschrak und versuchte zu erklären:
    »Meister Herodot, es tut mir leid, aber das Leben hat mir übel mitgespielt! Wie soll ich die Historiai der Völker erforschen, wenn ich auf einem Berg festgehalten werde?«
»Wo willst du sonst Barbaren erforschen als hier nun!
Ich zog einst aus zu erkunden das Wesen und Sitte der Völker!
Scheute auch nicht, den Krieg zu beschreiben, geführt von Barbaren
gegen die Zivilisierten der Griechen, und du? Du siehst hier
Krieg, einen großen, und nicht erforschst du die Gründe und Arten
wie jene hier am Berg nun bekämpfen die Zivilisierten?«
    Herodots Lippen schlossen sich, und er erstarrte wieder zu Stein, die Glühwürmchen wurden zu Glühpferden, auf denen sich die neun nackten Frauen niederließen und durch den Himmel ritten. Johannes erkannte plötzlich, die Frauen, das waren die neun Musen, die Gefährtinnen des Apollon, die Bewohnerinnen des Parnass. Die Musen verwandelten Sterne in kleine Bilder, die vom Firmament regneten und den ganzen Tag abbildeten: Luftingers fies

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