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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Luft sprengen, tun und lassen können, was sie wollen, ohne daß es jemand bemerkt.

Fährten und Fronleichnam
          
    Bevor Alois Irrwein am nächsten Morgen zur Baustelle der Kaunergrats fuhr, um den Dachstuhl für den neuen Schweinestall zu zimmern, stand er lange in der Einfahrt und überlegte, wofür er sich am meisten schämte: dass sein Sohn nach versauter Matura besoffen im Vorgarten schlief oder dass dessen Oberkörper zaundürr und löschkalkfarben war. Ilse schlief noch, sie hatte die Nacht hindurch so geweint, dass er sie nicht aufwecken wollte – also verzichtete Alois darauf, seinen Sohn ins Haus zu schaffen. Stattdessen holte er die olivgrüne Plastikplane aus der Garage, mit der er das späte Gemüse vor kalten Nächten schützte, breitete sie über Johannes, damit er den Nachbarsaugen verborgen blieb, und fuhr zur Arbeit. Den ganzen Tag über ließ ihn der Gedanke an Johannes’ Oberkörper, der ihn an eine gerupfte Hühnerbrust erinnerte, nicht mehr los. Auch wenn er sich bereits vor langer Zeit damit abgefunden hatte, dass ihm sein Sohn nicht sonderlich nachgeriet, mussten das nicht alle neugierigen Augen des Dorfes zu sehen bekommen.
    Klick-tack-klick-tack-klick-tack-klick-tack-klick-tack – im Gleichtakt klackten die Skistöcke des Vereins der Nordic-Walkerinnen St.   Peters auf den Asphalt der Hauptstraße. In schreiende Farben gehüllt walkten zwei Dutzend Frauen in Herdenformation das Dorf ab. Angelika Rossbrand marschierte als Vereinsgründerin an der Spitze, drei Frauen hatten jeweils nur einen Stecken und schoben mit der zweiten Hand einen Kinderwagen. Manche hatten Schweißbänder um Handgelenk und Stirn, andere trugen Pulsmesser, alle waren sie schon etwas aus der Puste, da die heutige Runde bereits fünfunddreißig Minuten andauerte und bald, nach dem Streckensprint über die Hauptstraße, im Garten des Café Moni enden würde, wo sich der Verein nach dem Morgensport mit Eisbechern stärken würde. Plötzlich erhob Angelika jedoch auf Höhe des Irrwein’schen Gemüsegartens die Hand, und die Frauen bremsten quietschend ab, um nicht ineinanderzulaufen. Auf Angelikas Nicken hin blickten alle in Ilse Irrweins Garten und verrenkten erstaunt die Köpfe, um die olivgrüne Plastikplane zu begutachten, die dort den Boden bedeckte, wo ansonsten der Kopfsalat wuchs.
    »Schauts amoi, de Ilse hat d’Frostschutzplane im Goartn«, ertönte die hohe Stimme der Kirchenchorsopranistin Hilde Wildstrubel, woraufhin alle skeptisch zu flüstern begannen, dass es gestern sicherlich keinen Frost gegeben und ob Ilse vielleicht exotisches Gemüse angebaut habe, mit welchem sie den nächsten Kochwettbewerb für sich entscheiden wolle. In St.   Peter am Anger waren bis auf gelegentliche Auseinandersetzungen, die mal hier, mal dort entstanden, sich grundsätzlich alle Frauen wohlgesinnt. Doch der zwei Mal jährlich stattfindende Kochwettbewerb, bei dem die Siegerin ein Set gefriertauglicher Tupperware-Schüsseln gewinnen konnte, entzweite die Freundinnen regelmäßig. Gertrude Patscherkofel hatte vor anderthalb Jahren heimlich Topinambur angepflanzt, die bis dahin in der Mütterrunde nicht bekannt gewesen waren und die ihr, mit Muskatnuss, Käse und Crème fraîche verarbeitet, den Sieg eingebracht hatten. Die Frauen flüsterten und entschieden, dass sie solch eine Wettbewerbsverzerrung nicht noch einmal zulassen wollten. Sie waren sich einig, dass die Wölbungen, die die Plane schlug, sicherlich Setzlinge waren, also legten sie ihre Skistecken auf den Asphalt und huschten im Gänsemarsch in den Vorgarten, um herauszufinden, was Ilse angepflanzt hatte. Im Kreis stellten sie sich rund um die Plane. Angelika Rossbrand hatte einen ihrer Stecken mitgenommen, schob damit die Plane beiseite, und alle hielten sie mit einem »Huch« die Luft an, als ein bleicher, an den Wangen erdiger Kopf zum Vorschein kam.
    »Des is do da Johannes«, stellte Sabine Arber fest, und Hilde Wildstrubel fragte:
    »Is der hinig?«
    Angelika stupste ihn mit ihrem Skistock an, und langsam kam Johannes zu sich.
    Das Aufwachen fühlte sich an, als würde er durch einen tiefen Tunnel zurück in seinen Körper fallen, und er sah nochmals die zarten Gesichter der Musen vor sich, doch als er die Augen aufschlug, hatten seine Musen fünfundzwanzig Kilo zugelegt, ihre weiße Haut war sonnenverbrannt, sie trugen grässliche Sportkleidung, und ihre Haare klebten am verschwitzten Kopf. Johannes riss die Augen auf und fragte sich, ob er aus dem

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