Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
hatte, obwohl dieser nur fünfzehn Minuten vom Dorfkern entfernt und um einiges malerischer als der Osthang war. Gleich hinter der Waldlichtung befand sich eine frisch angelegte Kieselstraße, die leicht nach Süden abzweigte. Ohne zu zögern, schlug er den Weg ein, der sich wieder dem Wald näherte, eine kleine Kurve machte und nach der Kurve sofort den Blick auf ein großes Haus freigab, das der besagte Neubau sein musste. In der kräftig grellen Junisonne blinzelnd, ärgerte sich Johannes, dass auch er die Ähnlichkeit des Hauses mit einer Skiliftstation feststellen musste – immerhin hatte ein Historiograf neutral zu bleiben.
Johannes huschte zurück in den Wald und beschloss, zunächst zur unauffälligen historiografischen Beschattung überzugehen. Der Wald umschloss das Grundstück von zwei Seiten. Jungbäume, Hecken und jahrhundertealte Stämme bildeten hier ein Dickicht, durch das sich Johannes seinen Weg bahnen musste. Während er sich dem Haus näherte, stachen ihn kleine Zweige, und ein dorniger Trieb zerkratzte seine Wange, doch Johannes gab sich der Natur nicht geschlagen. Herodot hätte nie herausgefunden, dass die Babylonier einmal im Monat ihre Frauen in einen Tempel brachten, damit sich diese dort prostituierten, wenn er nicht zuvor auf allen vieren durch die Kanäle und Gässchen Babylons in das Hinterhaus eines Tempels geschlichen wäre. Und wie sich so die Brombeerstauden in seiner Hose verhedderten und sich ihm Äste in die Rippen bohrten, fühlte sich Johannes seinem Meister näher als je zuvor und war darauf eingestellt, bald eine abenteuerliche Entdeckung zu machen. Als er durch eine Hecke, die den Waldrand vom anstehenden Gartengrundstück abgrenzte, das Haus erblickte, warf er sich auf alle viere. Johannes legte sich flach auf den Boden, streute ein paar Blätter über sein hellblondes Haar und schob vorsichtig den Kopf nach vorne, um durch eine Art Sehschlitz im Blattwerk freie Sicht zu haben, und tatsächlich: Sein Versteck war perfekt. Wahrscheinlich war nicht einmal Herodot besser getarnt gewesen, als dieser in Babylon als Statue verkleidet im Tempel stand. Tagelang hatte der alte Grieche damals bewegungslos an einer Stelle verharrt, ohne Essen, ohne Trinken, ohne Toilette – nur nachts, wenn die Orgien unterbrochen wurden, hatte er sich zwei Mal in drei Tagen erleichtert, und Johannes war nun, im Unterholz liegend, bereit, es ihm gleichzutun, und blickte in gespannter Erwartung durch die Hecke. Ein Stückchen die Böschung hinab begann der Garten der Bewohner, oder was in einigen Jahren einmal der Garten der Bewohner werden sollte. Rund um ein opulentes Schwimmbad gab es anstelle von Gras braune Erde, in die erst vor kurzer Zeit Grassamen gesät worden waren. Das Schwimmbad war in ein tiefes Betonbecken eingemauert, da sich das Haus in Hanglage befand und somit der Rest des Gartens leicht bergab verlief, während auf der Ebene des Schwimmbades eine schmale Kante eine Horizontale zur sinkenden Sonne bildete. Außer dem Pool schien aber wenig im Garten fertig zu sein, einige Büsche lagen uneingepflanzt herum, über ihre Wurzeln waren große Plastiksäcke gestülpt, und überall im Garten fanden sich Löcher, unverlegte Steinplatten und Säcke mit Blumenerde. Johannes wartete, doch als sich eine Stunde lang nichts tat, legte er seinen Kopf auf die überkreuzten Unterarme und schloss die Augen.
Nach einer weiteren Stunde jedoch hörte er auf einmal Musik, die aus dem Inneren des Hauses kam und lauter wurde, als sich die vollverspiegelte Terrassentür öffnete. Johannes’ Herz schlug fast genauso schnell wie der rasante Takt. Ein junges Mädchen, in Johannes’ Alter, setzte ihre weißen Füße auf die halbfertige Terrasse. Sie hatte lange knallrote Haare, die das Licht des Sonnentages wie ein Prisma brachen. Eine große Sonnenbrille mit weißem Rahmen verdeckte ihre Augen, und sie trug ein hellblaues Sommerkleid. Johannes reckte zwischen den Büschen den Kopf. Das Mädchen ging auf eine Bast-Sonnenliege zu, die am Südende des Pools stand, breitete ein Handtuch über der Liege aus und – Johannes traute seinen Augen nicht – ergriff langsam den Rand ihres Sommerkleides und zog es in einer fließenden Bewegung aus. Sie schüttelte ihren Kopf, sodass ihre Haare im Sonnenlicht feuerrot funkelten. Danach legte sie sich auf die Liege und begann, von den Füßen aufwärts, ihren Körper mit Sonnenmilch einzureiben. Als sie am Oberkörper angelangt war und sich vorsichtig die Träger ihres
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