Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Gehirn in Form eines Fußballes, scheint er aufrechter Natur – was damit zu tun haben mag, daß er nicht in St. Peter geboren, sondern mit seinem Vater zur Aufbesserung der lokalen Fußballmannschaft importiert wurde. Günther Pflicker hingegen ist ein hirnloser Hüne, dessen Brutalität sogar zu Volksschulzeiten schon augenfällig war, er ist das beste Beispiel für die erblichen Defizite der wenig aufgefrischten St.-Petri-Gene. Peppi Gippel deutete an, es sei seine Herkunft, die von den Dorfbewohnern als zu minder für Maria Rettenstein empfunden worden, die ja zu den ersten Familien St. Peters gehört, und daß man deswegen auf ihre Trennung hingearbeitet habe. Zur Aufklärung habe ich ein weiteres Treffen mit Peppi Gippel verabredet, denn er scheint mir als gute Quelle, um aufzudecken, ob die Bergbarbaren in ihrem Krieg gegen die Zivilisierten tatsächlich so weit gehen, daß sie den jungen Menschen ihr Glück verwehren und Hochzeiten untereinander arrangieren, um das Einheiraten von Fremden zu verhindern. Die Gesellschaft eines Fußballspielers werde ich der Forschung zuliebe ertragen, an Euch, zivilisierte Freunde, denkend und Euch dabei in Ehren haltend!
Johannes wohnte am Fronleichnamsabend der Abendjause mit seinen Eltern nicht bei, da er seine Beobachtungen sortieren und notieren musste, um nichts zu vergessen. Er ärgerte sich, während der letzten acht Jahre das Dorf konsequent ignoriert zu haben, denn er konnte vielen Gesichtern, die er heute gesehen hatte, keine Namen zuordnen. Da er nicht wollte, dass ihm dieses Versäumnis nun zum Nachteil geriet, begann er, auf einem großen Bogen Packpapier, den er eigentlich zum Einpacken seiner Bücher für den Auszug besorgt hatte, einen Stammbaum der Dorfbewohner anzulegen, um zumindest die drei lebenden Generationen zu erfassen und in weiterer Folge ihre Verwandtschaften und Verbindungen zu analysieren.
Alois und Ilse beratschlagten indessen beim Abendessen – es gab kalten Schweinsbraten mit Brot, Kren und Senf –, wie sie mit ihrem Sohn verfahren sollten. Genauso wenig wie ihnen klar war, was eine Maturaprüfung bedeutete, wussten sie, wie man als Eltern reagieren sollte, wenn so eine Prüfung nicht bestanden wurde. Alois wollte, dass Johannes von jetzt an sein eigenes Geld verdiente, immerhin hatte er selbst das bereits seit seinem fünfzehnten Geburtstag getan. Ilse jedoch schüttelte ihren Kopf:
»Wos soll’n da Johannes arbeitn? Auf da Baustell’ bricht der si do jedn Knochn!«
Alois dachte an Johannes’ Oberkörper, den er am Morgen nach der Matura entblößt gesehen hatte, und stellte fest, dass er keinen einzigen Beruf kannte, den man mit so wenig Muskeln ausüben konnte. Schweigend aßen die beiden ihr Abendmahl, bis schließlich Ilse ihre Hand auf den Oberschenkel ihres Mannes legte, seufzte und sagte:
»Am besten, wir lassn eam auf’s Erste in Ruh, wir könnan eh nix machn.«
Alois sah ihr in die Augen und nickte niedergeschlagen. Für einen kurzen Moment hatte er die Hoffnung gefasst, Johannes würde bei ihm in der Zimmermannswerkstatt anfangen und den Familienbetrieb weiterführen, so wie es bei den Irrweins schon seit Generationen Tradition war.
[Die Exploration der Adlitzbeere, Notizbuch III]
[9.4.] Alle Geschichtsschreiber berichten einstimmig, daß, als wieder Frieden herrschte, Techne, die Göttin der Erfindung, die Seelen der Forscher beflügelte und überall auf dem Kontinent große Entdeckungen gemacht wurden. Hier möchte ich davon künden, wie einer dieser begeistigten Entdecker zufällig nach St. Peter kam und was daraufhin geschah. [9.5.] Die Bergbarbaren sollen ihn, da sie gerade eine gute Erntesaison hinter sich hatten, freundlich aufgenommen haben. Nun wird erzählt, daß jener Explorator beim Anblick der Tröge voller geernteter Adlitzbeeren in großes Staunen verfiel. [9.6.] Die Adlitzbeere, von der ich früher schon beiläufig erzählt habe, ist eine Frucht aus der Gattung der Mehlbeeren, verkehrt eiförmig bis rundlich, erst olivgrün, später dann braun mit hellen Punkten und wird etwa anderthalb Zentimeter groß. Der Explorator bewunderte allzusehr die tausenden Adlitzbeerenbäume, die überall auf dem Angerberg standen, da sie im Rest der Welt selten waren. Die Bergbarbaren belächelten sein Staunen, denn diese Früchte waren schon lange vor den Bergbarbaren auf dem Berg gewesen, sie waren seit je an deren Zucht, Ernte und Verarbeitung gewohnt. [9.7.] Der Explorator wußte, daß diese Frucht, unter
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