Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
etwas länger dauerte, um in St. Peter anzukommen, fand auch jener Céline-Dion – Song dreizehn Jahre zu spät in die Alpen. Nachdem der Fackeltanz abgeschlossen war, entzündeten die Tänzerinnen den Scheiterhaufen des Sonnwendfeuers. Die Flammen ergriffen das dürre Reisig der seit einem halben Jahr im Lagerraum getrockneten Weihnachtsbäume und fraßen sich knisternd bis zum Kernholz darunter. Der Gestank schien die St. Petrianer nicht zu stören, vielmehr waren sie stolz, für ihre Weihnachtsbäume eine derart effiziente Nutzung gefunden zu haben. Johannes beobachtete die Flammen und blickte schließlich in Richtung des Tales – in den Bergen rundherum loderten die Feuer anderer Dörfer auf, als wollten die Bewohner einander einmal im Jahr beweisen, dass sie die Berge bezwungen hatten und nie ins Tal gehen würden.
So schön die Stimmung an jenem milden Abend war, Johannes stellte bald fest, dass die Gespräche relativ banal und frei von Verschwörungen waren. Am Grillwagen, wo im Licht von Bratwürsten, Spanferkeln und vier Dutzend goldbraunen Henderln die hungrigen Männer beisammenstanden, wurde über Fußball diskutiert. Am Vortag hatte die Fußballmannschaft verloren, und die Männer schienen sich noch nicht davon erholt zu haben. An der Schank, wo zwischen Krügerln die Adlitzbeerenschnäpse gekippt wurden, erzählte man sich dreckige Witze. Robert Rossbrand erheiterte die Umstehenden mit:
»Wos sogt a Frau mit Sperma auf da Brilln? – I hab’s kummen sehn!«, und Johannes schämte sich in Grund und Boden, mit diesem Kerl die gleichen Ururgroßeltern zu haben.
Der Bürgermeister saß an einem Tisch voller Frauen, war von glücklich roter Hautfarbe, massiger denn je, und hatte ein Lächeln auf seinem runden Gesicht, das strahlte wie die aufgehende Sonne über einem Dorfteich.
Rund um den Dorfplatzspringbrunnen standen Tische, auf die in Klarsichtfolie geschweißte Preislisten geklebt waren, damit niemand vergaß, was man noch probieren müsse. Auf der Straße waren die verschiedenen Verkaufshütten aufgebaut, die Straße selbst war großräumig abgesperrt und mit Stehtischen vollgestellt, zwischen denen sämtliche Dorfbewohner geschäftig hin und her liefen.
Auf der freien Fläche Richtung Nordhang brannte das Sonnwendfeuer bald so hoch, dass man den Qualm überall auf dem Dorfplatz in der Nase hatte. In der Mitte des Feuers war auf einem langen Stück Holz der Sonnwendhansl befestigt. Die Puppe war ein Symbol für die bösen Geister, die vom Dorf ferngehalten werden sollten, um nicht Ernte und Gemeinschaft zu zerstören. Johannes beobachtete, wie energisch und geifernd die Dorfkinder rund um das Feuer liefen. Sie spielten zwar nur, doch es hatte etwas sehr Archaisches, als sie Steine nach der Puppe warfen und diese mit Tiraden beschimpften. Johannes erkannte, dass die Jugend die von den Alten übermittelten Gebräuche und Traditionen ehrlich mit Leben füllte, und staunte, wie sie übernahm, was sie geerbt hatte, und es neu aufflackern ließ. Johannes streckte die Handflächen aus und wärmte sie am Feuer, bis sie vom heißen Kribbeln taub wurden. Immer mehr Dorfbewohner versammelten sich und warteten, dass der Sonnwendhansl hineinstürzte. Es war Brauch, dass auf des Bürgermeisters Kosten für eine halbe Stunde Freibier ausgeschenkt wurde, sobald er gefallen war. Raunend stellten die St. Petrianer fest, dass der diesjährige Sonnwendhansl besonders zäh war. Der Puppe waren von der Jungschar alte Kleider angezogen worden und sie hatte von der Friseuse Angelika Rossbrand ein Gesicht aufgemalt sowie eine kaputte Perücke aufgesetzt bekommen. Nach einiger Zeit stellten sich zwei Dorfmädchen neben Johannes – er erkannte sie als seine Schulkolleginnen Verena Kaunergrat und Susi Arber, die ihm in der zweiten Klasse die Bastelschere in den Oberschenkel gerammt hatte, nur weil er gemeint hatte, auf ihrer Zeichnung des Bauernhofes sähen alle Tiere gleich aus. Er wollte schon nach Hause gehen, doch plötzlich unterhielten sie sich über die Hochg’schissenen:
»Voi oarg, dass de da sand.«
»Wia de ausschaun!«
»Des Madl hat rote Haar wia a Hex.«
»Wer hat’n de eing’ladn?«
»Wahrscheinli ham’s de Plakate g’sehn. Da Schuarl hat jo ollas zuaklebt mit Plakate.«
»Da Andi hat g’sagt, da Robert hat g’sagt, er wüll des rotschädlade Madl o’schleppn.«
»Geh pfui, da Robert is a Oarsch, stell da vor, der hat wos mit so aner Hochg’schissenen! Da kriegt a sicher so Pilze
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