Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
anderem Namen bekannt, eine der begehrtesten und seltensten Heilpflanzen gegen unzählige Krankheiten war, doch die Bergbarbaren waren nicht sonderlich interessiert, großen Handel mit der Welt aufzunehmen, da sie um ihre Ruhe und ihren Frieden fürchteten, wenn Menschen von überall her ihre Adlitzbeeren besitzen wollten. [9.8.] Der Explorator also schloß mit ihnen einen Pakt, den sie mit heiligen Schwüren besiegelten: Die Bergbarbaren würden ihm einmal im Jahr einen Teil ihrer Ernte gegen große Geldsummen zum Verkauf überlassen, und der Explorator würde niemandem erzählen, woher er diese Beeren bezog, sondern sie möglichst gewinnbringend umsetzen, zum Wohle beider Seiten. [9.9.] Wie ich mit eigenen Augen herausgefunden habe, ist es auch heute noch so, daß die Bergbarbaren von St. Peter am Anger ihr Leben vor allem mit dem Verkauf und Vertrieb dieser seltsamen Frucht bestreiten, die als große Heilpflanze überall begehrt ist.
Mit Herodot im Wald
Bereits eine Woche nach seiner verpatzten Matura stand Johannes zwischen den Fliederbüschen und Paradeisstauden im Vorgarten, ohne wehmütig an jenes Unglück zu denken. Er legte die Hand auf seine Hosentasche, um sein Moleskine zu fühlen, und meinte, die Sonne lächle ihm ins Gesicht.
Johannes machte sich mit gemütlichem Schritt auf den Weg in die Dorfmitte. Er wusste nicht genau, wonach er suchen sollte, aber er war sich sicher, seine Muse Klio würde ihn auf den richtigen Weg führen. Herodot war seine Forschungstätigkeit auch oft unvorbereitet angegangen und hatte sich darauf verlassen, dass sich dem schauenden Menschen die Barbarenwelt von selbst eröffnete. Und wie er über den Kiesweg marschierte, stellte sich Johannes vor, dass er 2400 Jahre zurückversetzt durch die Olivenhaine Attikas stolzierte, die warme griechische Sonne auf den nackten Schultern spürte und bald den ersten athenischen Bürger träfe, der ihm von seinen Erfahrungen mit den Barbaren berichtete. Er dachte daran, wie er zuhören, aus alltäglichen Erzählungen die entscheidenden Aspekte herausfiltern und bahnbrechende Erkenntnisse über das Wesen der Barbaren machen würde.
Johannes marschierte die Hauptstraße entlang Richtung Dorfplatz. Nach einigen Minuten kam er zur Dorfkirche, vor deren Eingangstür eine Statue des heiligen Peter stand. Johannes setzte sich am Dorfplatz auf eine der Pensionistenrastbänke und betrachtete sein Dorf mit neugierigen Augen.
Liebe zivilisierte Freunde,
vor der Pfarrkirche von St. Peter, die das Herz jenes ellipsenförmigen Dorfplatzes bildet, rund um welchen die Bergbarbaren ihre Siedlungen haben, steht eine Statue des heiligen Peter. Dieser wendet seinen betenden Blick Richtung Herrgott, als ob er sagen wollte: Was habt ihr nur mit meinem Dorf gemacht? Und als ob er um Vergebung betete. Weiters findet sich an jenem Dorfplatz ein Feuerwehrhaus, dessen Feuerwehrmänner oft streiten, wer das große Löschfahrzeug polieren darf, denn für andere Zwecke wird es kaum genutzt. Daneben findet sich eine Greißlerei, wo der Bergbarbare Lebensmittel kauft, die großteils im Dorf hergestellt wurden. Obst und Gemüse wird saisonabhängig angeboten, Milch und Käse werden etikettiert mit dem Namen der Kuh, aus deren Euter gemolken wurde. Und stellt Euch vor: Mineralwasser ohne Kohlensäure findet sich nicht im Sortiment, denn die Sinnhaftigkeit selbigens ist den Bergbarbaren unverständlich, da sie nicht einsehen, warum es nötig ist, solches Wasser in Flaschen zu kaufen, wenn es gratis endlos Wasser aus der Leitung gibt. Für die Erziehung ihrer Sprößlinge haben sie einen Kindergarten sowie eine Volksschule, für ihr leibliches Wohl sorgen das sogenannte Wirtshaus Mandling und ein Kaffeehaus.
An der schlichten Fassade der Dorfkirche bröckelte der Putz. Außerdem fiel Johannes auf, dass die Fundamente rissig wirkten, als ob das Gesamtkonstrukt bald in sich zusammenbrechen und die betende Gemeinde unter sich begraben könnte. Er nahm sich vor, die Bauhintergründe der Kirche genauer zu recherchieren, und spazierte ins Café Moni. Während er in den letzten Jahren gelegentlich mit seinen Eltern im Wirtshaus gegessen hatte, wenn Ilse keine Lust gehabt hatte zu kochen, konnte er sich nicht erinnern, wie das Kaffeehaus von innen aussah. Johannes war überzeugt davon, dass er als Historiograf der Bergbarbaren alles über sein zu erforschendes Volk wissen musste. Der gute Wille konnte ihn jedoch nicht davor bewahren, einen schalen Geschmack
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