Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
im Mund zu spüren, kaum dass er durch die Tür getreten war. Im Café Moni roch es nach altem Kaffee und heißem Fett, Gerüche, die sich gleichermaßen in alle Maserungen der Holzdecke und Fasern der Polsterüberzüge gefressen hatten.
Er setzte sich an die Bar und nickte Frau Moni zu, die in Ruhe an der Wand lehnte und ihre Malteserhündin streichelte, die auf ihren Armen schlief und schnarchte. Sonst befand sich nur eine Handvoll Mütter im Café, die die Zeit zwischen dem Bringen und Abholen der Kindergartenkinder mit dem Trinken von Latte macchiatos in großen blauen Häferln verbrachte, die aussahen, als wären sie selbst getöpfert.
An den Kieferholzvertäfelungen der Wände hingen eine Menge gerahmte Fotografien und Zeitungsausschnitte aus dem Angertaler Anzeiger . Die meisten zeigten Fußballspieler, die im Laufe der letzten achtzig Jahre die Ehre St. Peters auf dem Rasen verteidigt, es aber bis zum Auftreten von Sepp Gippel nicht geschafft hatten, die unterste Klasse der Amateurliga zu verlassen. Daneben prangten Artikel, handschriftliche Notizen, Schlagzeilen, Überschriften, die am euphorischsten waren, wann immer es um Vater und Sohn Gippel ging. Johannes musste lächeln, als er seinen Pfitschigoggerl-Partner Peppi auf einigen der Fotografien wiedererkannte. Peppi Gippel war nach seinem Vater Sepp Gippel der zweite Fußballer in der Geschichte des FC St. Peter am Anger, der vom Gemeinderat für das Fußballspielen bezahlt wurde, wobei Johannes zugeben musste, dass Peppi nicht der fotogenste war, sondern auf jedem Bild schiefe Augenbrauen und zusammengekniffene Augen hatte.
Mäßig interessiert blätterte Johannes schließlich in den Zeitungen, die auf der Theke auslagen, trank schlückchenweise seinen Orangensaft, und während er überlegte, wo er als Nächstes forschen sollte, da er schon fürchtete, das Café Moni sei so spektakulär wie dessen Spitzenvorhänge, schnappte er Fetzen aus dem Gespräch der Frauen hinter sich auf:
»Jo, i hab jo g’laubt, des komische Haus wird nie fertig, owa hiazn is’s plötzli fertig.«
»Angebli g’hört des Haus Leut aus da Hauptstadt!«
»Des Haus hat wohl über aner Million kost und is schiarch wia d’Nocht.«
»Schaut aus wia a Skilift.«
»Leut aus da Stadt! Schreckli! Wos is, wenn des Kinderverzahrer sand, de wos unsre Kinda im Kella einsperrn?«
Johannes erinnerte sich plötzlich, dass sich auch seine Eltern vor einigen Monaten über ein Haus aufgeregt hatten, das aussähe wie ein Skilift. Johannes’ Vater, der solide Zimmermann, der alle Dachstühle, die im letzten Vierteljahrhundert in St. Peter erbaut worden waren, errichtet hatte, hatte Gift und Galle gespuckt, weil dieses Haus keinen Dachstuhl, sondern lediglich ein Flachdach hatte. Johannes hatte damals nur mit halbem Ohr zugehört und gedacht, jenes Haus befände sich in Lenk. Dass es am Westhang von St. Peter am Anger stand, wie eine der Frauen hinter ihm erwähnte, weckte seinen Forscherinstinkt.
In der Hitze der Mittagssonne marschierte Johannes schnellen Schrittes über den Dorfplatz, um sich augenblicklich davon zu überzeugen, ob die aufgeschnappten Neuigkeiten aus dem Kaffeehaus wahr waren. Er ging vorbei an der Schule, wo sich schon eine kleine Traube Mütter versammelt hatte, vorbei am Gemeindeamt, wo gerade die Sekretärin die Türen schloss, um Mittagessen kochen zu gehen, vorbei an der selten geöffneten Post und vorbei an der Feuerwehr, wo der kugelrunde Löschmeister das große Feuerwehrauto mit einem Gartenschlauch abspritzte, als ob es brennen würde. Johannes marschierte vorbei an den Bauernhöfen und Wohnhäusern, immer weiter die Straße entlang, die auf den Westhang des Angers führte. Als sich die Bauernhöfe lichteten, führte sie an einer Kuhweide entlang, wo die Kühe den vorbeigehenden Johannes keines Blickes würdigten. An die Weide grenzte dichter Mischwald, und im Schatten der ihr Blätterdach über die Straße erstreckenden Bäume fröstelte Johannes, der auf seinem Weg in der prallen Mittagssonne sein Hemd durchgeschwitzt hatte. Nach zehn Minuten Fußweg hatte der Mischwald ein Ende, und vor Johannes lag der sanfte Westhang des Angers mit Blick auf den Talschluss des Angertals mit den sich dahinter erhebenden Gebirgsmassiven. In der Ferne kratzten einige weiße Zuckerhüte am Himmelsdach, und Johannes war im ersten Moment erstaunt über den weiten Postkartenblick, der sich hier bot. Er konnte sich kaum erinnern, wann er je den Westhang besucht
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