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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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sagte Johannes und blickte auf. »Dass er ein Kläffer ist? Ist ja nicht schwer zu erraten.«
    Johannes wurde rot.
    »Nein, dass du aus der Stadt kommst.«
    »Na ja, ist noch weniger schwer zu merken. Ihr St.   Petrianer mustert uns ja den ganzen Abend schon von oben bis unten.«
    Johannes wurde noch verlegener und begann erneut zu stammeln:
    »Das tut mir leid, bitte entschuldige die. Manche von denen sehen zum ersten Mal Leute aus der Hauptstadt. Sei froh, dass ihr nicht schwarz seid, das wär erst ein Spektakel.« Das Mädchen lächelte.
    »Sag mal, kommst du auch von hier? Du sprichst ur ordentlich, ich versteh dich sogar, ohne mich anzustrengen.«
    Johannes wusste nicht, wie ihm geschah, so ein schönes Kompliment hatte er noch nie bekommen.
    »Tja, also ich bin leider hier geboren. Ich gehör aber nicht zu den ganzen Leuten. Du siehst, ich hab kein Motorrad, und ich studiere, schreibe eine Forschungsarbeit über Dorfgemeinschaften, nur deshalb bin ich hier.« Plötzlich seufzte das Mädchen, und Johannes war verblüfft, denn diese Reaktion hatte er nicht erwartet.
    »Mein armer Vater. Er hat sich so gefreut, der einzige Akademiker im Umkreis von fünfzig Kilometern zu sein. Der ist glücklich, wenn er morgens nur Kühe sieht. Ich find das ja bescheuert, aber er ist in der Midlifecrisis, da passiert so was.«
    Einen Moment lang schwiegen sich die beiden an und teilten das Gefühl, fehl am Platz zu sein.
    Schließlich sagte sie:
    »Sag mal, hast du Lust, mit mir und einer Flasche Weißwein irgendwo mit Sicherheitsabstand dieser Puppe beim Fallen zuzusehen? Mein Vater hat in so einem Buch über Bräuche in den Alpen gelesen, dass das ur toll sein soll.« Johannes nickte eifrig. »Ich bin übrigens Simona, Simona Nowak.«
    »Johannes, Johannes A. Irrwein.«
    Und anstatt dass sie sich die Hände schüttelten, wie Johannes es erwartet hatte, tat sie einen Schritt auf ihn zu und küsste ihn links und rechts auf die Wange. Dank ihrer hohen Schuhe war sie fast so groß wie er, und als sie näher kam, entdeckte Johannes, dass ihre Augen türkis waren. Nicht blau, nicht grün, sondern türkis, mit einem kleinen weißen Fleck auf der rechten Iris.
    Um nicht in der Menge auseinandergerissen zu werden, hakte sich Simona bei Johannes unter, und er führte sie zwischen den Dorfbewohnern hindurch. Als sie an der Blasmusik vorbeikamen, die auf einem Podest erhöht über der Tanzfläche einen Boarischen spielte, blieb Simona stehen und deutete auf einen Mann, ähnlich groß und zart wie sie selbst, mit wirrem grauen Haar, das in alle Richtungen abstand, und einer großen Hornbrille, der vor der Tanzfläche stand und eifrig mitklatschte, während die Dorfbewohner Abstand von ihm hielten.
    »Das ist mein Vater«, sagte sie, »der findet alles, was mit den Alpen zu tun hat, ganz toll. So eine Art Kindheitstraum ist das hier.«
    Simona kicherte, und der Mann drehte sich um, er hatte einen grauen Maßanzug an, an dessen Revers ein Edelweißstecker montiert war.
    »Simona, kuck mal, die tanzen echte Volkstänze!«, rief er. Zwischen ihnen standen ein paar St.   Petrianer, die erschrocken zurückwichen. Auf Kuck mal , eine Phrase, die man aus dem nur bei Schönwetter und geeigneten Windverhältnissen empfangenen Satellitenfernsehen kannte, reagierten die St.   Petrianer allergisch.
    »Schön, Paps, das ist der Johannes, er ist von hier, wir schauen uns die Puppe an!«, schrie sie zurück, und der Vater deutete ihnen erhobene Daumen, um sich gleich wieder den tanzenden St.   Petrianern zuzuwenden.
    Johannes und Simona bezogen auf der Verteidigungsmauer der Kirche ein schönes Plätzchen, von dem aus man freie Sicht auf das Feuer hatte. Johannes breitete seine Jacke aus, und Simona nahm dankend darauf Platz.
    Johannes hatte noch nie in seinem Leben mehr als zwei Gläser Wein getrunken – auch das nur zu Weihnachten –, und der Alkohol lockerte ihm bald die Zunge. Er fühlte sich anfangs furchtbar nervös in Simonas Gegenwart, doch sie lachte viel und gab ihm das Gefühl, dass sie ihm gerne zuhörte. Johannes berichtete ihr in kurzer Zeit von seinem ganzen Leben, von seinen Eltern, seinem Doktor Opa, von der furchtbaren Volksschule, von den verrückten Mönchen, den Geheimgängen des Subpriors, dem großartigen Digamma-Klub, dem schrecklichen Luftinger und nicht zuletzt von Herodot, dass er Geschichtsschreiber werden wollte wie der alte Grieche. Nur dass er bei der Matura durchgefallen war, verschwieg er. Schließlich begann Simona

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