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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Sommerdürre abgefallene Blätter des nebenan gedeihenden Rhododendron lagen noch darauf.
    »Seltsam«, brummte Johannes und kratzte sich am Kopf, bevor er all seine mitgebrachte Habe ins Wohnzimmer trug, um mit der Inventurliste abzugleichen, was fehlte.
    »Und des wird mei Antrieb.« Stolz betrachtete Alois Irrwein das Grundgestell des Raumschiffes. Ilse saß auf einem umgestürzten Baum, an der Stelle mit dem wenigsten Moos, und ließ die Füße über dem Waldboden baumeln. Die schönen Strümpfe, die sie sich wegen der Rückkehr des Vaters hatte anziehen müssen, waren voller Löcher, nachdem sie Alois einige Stunden lang geholfen hatte. Nicht dass er Hilfe nötig gehabt hätte. Er war in einer Zimmermannswerkstatt groß geworden und hatte handwerkliches Geschick im Blut. Ilse ließ er trotzdem mitarbeiten. Ganz verweint war sie in den Wald gelaufen gekommen. Alois verstand nicht viel vom Trösten, er hatte ihr einfach einen Hammer in die Hand gedrückt:
    »Wennst magst, kannst de Stützlattn an da Radachsn annageln.«
    Alois hatte entschieden, mithilfe von viel Anlauf über eine Rampe ins Weltall zu fliegen. Senkrecht in den Himmel zu starten, so wie es das Titelblatt des Angertaler Anzeiger beim amerikanischen Mondflug gezeigt hatte, konnte er sich nicht vorstellen. Als Startrampe hatte er eines der ausgetrockneten Flussbetten in den Wäldern des Großen Sporzer auserkoren, in denen zur Schneeschmelze das Wasser vom Gletscher talwärts strömte, um den gemächlichen Mitternfeldbach für wenige Wochen in einen reißenden Strom zu verwandeln. Alois’ Startrampen-Flussbett mündete nicht direkt in den Mitternfeldbach, sondern endete an einem Felsvorsprung, über den sich zur Schneeschmelze ein tosender Wasserfall ergoss. Die Dorfbewohner nannten ihn den Weißen Sturz, weil das helle Kalkgestein das Wasser zum Scheinen brachte. Doch im Sommer war der Weiße Sturz genauso trocken wie das restliche Flussbett und für Alois Irrwein die ideale Abflugschanze in den Himmel und noch viel weiter. Dass, sollte er abstürzen, unter ihm der Mitternfeldbach lauerte und sich hinter diesem eine zum Dorfplatz hin ansteigende Kuhweide erstreckte, schien ihn nicht zu bekümmern. Es waren Ferien, und Alois hatte den ganzen Tag Zeit, sich seinem Plan zu widmen. Zudem wurde er jede Nacht vom glänzenden Himmel über St.   Peter angespornt: In der Klarheit der Alpennächte war er voller Sterne, die zum Greifen nah schienen.
    Als Raumschiff sollte eine Art Seifenkiste dienen, wobei Alois noch etwas unsicher war, wie er das Cockpit versiegeln sollte. Er hatte gehört, im Weltall gebe es keine Luft.
    »So a Seifnkistn wia de, mit derer i vor zwoa Joahr in Lenk s’Rennen g’wonnen hab«, erklärte er Ilse, die sich nicht mehr an besagtes Seifenkistenrennen erinnern konnte, jedoch eifrig mit dem Kopf nickte. Sie war froh, bei dem dreckigen Buben Unterschlupf gefunden zu haben, jetzt, da plötzlich ein fremder Mann in ihrem Haus war, der alles veränderte. Obwohl Ilse Gerlitzen zuvor noch nie mehr als zwei Worte mit dem wilden, drei Jahre älteren Alois Irrwein gewechselt hatte, benahmen sie sich plötzlich, als wären sie beste Freunde.
    Seit er auf seiner Wanderschaft Dinge notiert hatte, um sie nicht zu vergessen, war Johannes Gerlitzen ein eifriger Aufschreiber geworden, der fast alles festhielt, was ihn beschäftigte. Mittlerweile weniger, weil es ihm half, sich zu erinnern, sondern weil er gemerkt hatte, dass die Dinge einfacher wurden, wenn man sie zu Papier brachte, als könnte man durch Aufschreiben die Welt ordnen. An seinem ersten Abend in St.   Peter benutzte Johannes Gerlitzen das erste Mal ein neues Notizbuch, wenngleich das vorherige noch nicht vollgeschrieben war. Doch es fühlte sich an, als begänne nun ein neuer Lebensabschnitt, der eines neuen Buches wert wäre: St.   Peter am Anger hat etwas mehr als vierhundert Einwohner, liegt isoliert vom Rest der Welt auf einem Berg, versteckt inmitten der Alpen, und ausgerechnet hier gibt es einen der seltenen Fälle von schwerem Morbus Parkinson bei einer Patientin, die ihr fünfunddreißigstes Lebensjahr noch nicht überschritten hat und das vierzigste wohl kaum erreichen wird. Spätestens dieser Umstand zeigt, daß auch ein Dorf fernab der Zivilisation einen Arzt nötig hat.
    Wenn er ein medizinisches Thema abgehandelt hatte, zog er mit einem Lineal einen Strich darunter, drehte das Heft um 180 Grad und merkte, wie er es gewohnt war, die persönlichen Kommentare mit spitzem

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