Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Herbstbeginn lösen würden, beschlossen die Buben am Samstag vor Ende der Sommerferien, dass es trotzdem Zeit für eine Testfahrt war. Nach all der Arbeit wollten die Kinder endlich etwas Abenteuerliches sehen, und Alois juckte es nach etwas Action. Der Pilot war natürlich Alois Irrwein selbst. Einerseits stand ihm als Urheber und Oberhaupt der St.-Petri-Mondmission das Privileg der ersten Fahrt zu, andererseits war er der einzige Bursche im Dorf, der genügend Mut besaß. Alois raffte alle Polster zusammen, die er zu Hause finden konnte, und staffierte sich aus. Georg Ötsch hatte seinem älteren Bruder den Puch-Helm abgeluchst, und vermummt wie ein richtiger Astronaut setzte sich Alois Irrwein am großen Tag in das Gefährt. In der Welt der St.-Petri-Kinder passierte in den Sommerferien noch weniger als im Rest des Jahres – aus Aufregung vor dem Ereignis machte Alois’ Cousin Ludwig Millstädt sogar das Bett nass. Es wurden Wetten abgeschlossen, wo Alois landen würde. Reinhard Rossbrand spekulierte auf den Kirchturm, Angelika Ötsch vermutete, er könnte es bis in den Heustadl schaffen, wo im Sommer das Futterheu getrocknet wurde, die Bürgermeistertochter Marianne Ebersberger war davon überzeugt, er würde auf dem Friedhof landen. In welchem Gesundheitszustand, ließ sie unbeantwortet. Ilse Gerlitzen war die Einzige, die Alois nicht energisch anfeuerte, als er das Raketenfahrzeug bestieg. Vielmehr schloss sie die Augen, während Reinhard Rossbrand und Markus Kaunergrat die Hände an die Bremsblöcke legten und diese unter den Reifen hervorzogen, nachdem der Chor der zuschauenden Kinder den Countdown gezählt hatte. Alle hatten vor den Erwachsenen dichtgehalten, und umso verwunderter waren die älteren St. Petrianer, die im Garten des Wirtshauses mit Blick auf den auslaufenden Hang des Großen Sporzer diesseits des Mitternfeldbaches zu Mittag aßen, als plötzlich jenseits des Baches ein Gefährt über das ausgetrocknete Flussbett auf den Weißen Fall zuraste, dem Abgrund jedoch nicht auswich, sondern darüber hinausfuhr und plötzlich zu fliegen begann. Alois Irrwein tat einen lauten Schrei des Glücks, als die Seifenkiste hochstieg. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Sonnenschirme so gut als Flügel funktionieren würden und in jenem Moment eine starke thermische Alpenströmung sein Gefährt ergreifen und über den Nordhang, wo alle Kühe ängstlich die Köpfe hoben, bis auf den Dorfplatz tragen würde. Sämtliche für ihn zuständige Schutzengel mussten an diesem Tag ihren Dienst getan haben, denn wie durch ein Wunder stürzte Alois in keines der Häuser rund um den Dorfplatz, sondern landete auf der Kreuzung von Dorfplatzstraße und Hauptstraße, wo letztere hinunter ins Tal führte. Seine wilde Fahrt war allerdings noch nicht zu Ende. Mit einem Rums gelandet, ging es nun bergab. Alois zog den Kopf zwischen die Schultern, ganz geheuer war ihm das nicht, denn die Rakete hatte keine Bremsen. Energisch zog und riss er am Steuerrad, um nicht mit den Bäumen entlang der Straße zu kollidieren, doch als ihm Herr Rettenstein in seinem Heu-Traktor entgegenkam, hatte Alois keine andere Wahl, als die Straße zu verlassen. Und so steuerte er das Gefährt in die nächste Abzweigung – in die Einfahrt der Gerlitzens. Diese wurde jedoch von Elisabeths früherer Vorratskammer begrenzt, in der sich das Labor im Aufbau befand, nachdem alle Marmeladen und Einmachgerichte an die Nachbarschaft verschenkt worden waren. An der gartenzugewandten Seite war begonnen worden, Isoliermaterial anzubringen. Alois lenkte quer, aber der Schuss ließ ihn längsseits mitten in die Holzbretter driften, und mit einem lauten Krach, als ginge die Erde unter, schlitterte Alois durch die Laborwand. Glücklicherweise hielt sich zu jener Zeit niemand dort auf. Von dem Weltuntergangslärm aufgeschreckt kamen alle, die in der Nähe waren, sofort herangeeilt. Einer der Ersten an der Unglücksstelle war Johannes Gerlitzen, der in der Küche Tee für Elisabeth gekocht hatte. Als Arzt war er vor allem besorgt, jemand könne sich verletzt haben, doch als Alois Irrwein pumperlgesund aus dem Schutt kletterte und mit erhobenem Daumen und frechem Grinsen der Traube herangeeilter Menschen bedeutete, dass er wohlauf war und sich für einen ziemlich guten Piloten hielt, schlug Johannes’ Sorge in Zorn um. Dieser verrohte Rabauke hatte nicht nur sein Laboratorium zur Hälfte zerstört, sondern offensichtlich auch den gesamten abgängigen
Weitere Kostenlose Bücher