Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
erfahren, daß dieses Ereignis den Bergbarbaren bloß ein müdes Schulterzucken wert war, denn sie meinten, für ihre Herzen würde es keinen Unterschied machen, ob der Berg bestiegen sei oder nicht. [14.5.] Wie ich weiter erfahren habe, sollen jene Fremden, die in die Besteigung des Großen Sporzer Gletschers involviert gewesen waren, sehr überrascht gewesen sein, daß die Bergbarbaren von jener Errungenschaft so unbeeindruckt blieben. Die Bergbarbaren zeigten nämlich kein Interesse daran, auf den Hängen des Sporzer Gletschers Skipisten zu errichten, einen Lift zu bauen oder im Dorf einfache Unterkünfte für Wanderer einzurichten, so wie es damals in der Alpenrepublik überall dort in Mode war, wo sich die Geographie dazu eignete. Und dies wäre, wie ich mit eigenen Augen gesehen habe, in St. Peter am Anger zweifelsohne der Fall. [14.6.] Aber die Bergbarbaren waren nun mal in ihren Wesen dem Fremden abgeneigt, sie blieben gerne unter sich und schätzten ihre Stille. Zumindest so lange, bis sich ihnen offenbarte, daß das Fremde auch seine Vorzüge haben kann – denn meist ist es so, wie ich schlußfolgern möchte, daß gerade die Begegnung mit dem Fremden viel über das Eigene klarwerden läßt.
Bahöl
Man sagt, der liebe Gott sei am glücklichsten, wenn seine Kinder spielen. Und tatsächlich, kurz vor dem Anpfiff leuchtete der Himmel über St. Peter in allen Blaufacetten. Schmackhafter Fettduft und der Geruch frischen Biers hingen über den erweiterten Tribünen des erst kürzlich getauften Angerbergstadions, und gespannt warteten rund 800 Zuschauer, die, wie Schuarls Lehrbub ungläubig anhand der Autokennzeichen festgestellt hatte, von überall her angereist waren. Die Mütterrunde und einige der jungen Mädchen kümmerten sich um das Anrichten und den Verkauf der Speisen, an den Grills standen Feuerwehrmänner, die ihre Uniformen gegen weiße Schürzen getauscht und Johannes am Vortag noch verteufelt hatten, weil er sie zwang, aus hygienischen Gründen Kochhauben über den Haaren zu tragen. Die meisten Männer, die nicht im Kader der Fußballmannschaft waren, hatten Ordner-Ämter übertragen bekommen, mussten Karten kontrollieren und auf die Sicherheit aufpassen. Die hübschesten der Dorfmädchen hatte Johannes auf der VIP – Tribüne postiert und ließ sie dort Getränke und Speisen servieren, was diesen wiederum gut gefiel, da die VIP – Tribüne hinter den Spielerbänken lag. Seit dem Aufwärmen vor dem Spiel hatten sie jedoch nur Augen für einen einzigen Spieler: den rechten Verteidiger des FC St. Pauli, den sie alle sofort heiraten wollten. Er sah nämlich Peppi Gippel zum Verwechseln ähnlich, hatte auch eine strohblonde Stachelfrisur, nur mit dem Unterschied, dass die Variante des Verteidigers etwas moderner war, dem flachländischen Zeitgeist entsprechend der Unterschied zwischen vorne kurz hinten lang umgedreht war in vorne lang und hinten kurz. Zudem war er ein richtiger Profi und hatte zwar eine Freundin, doch die war nicht schwanger und Heiratsabsichten schienen nicht existent. Auf dem Platz wärmten sich unterdessen die Fußballspieler unter den gespannten und gut gelaunten Blicken einer umwerfenden Fankulisse auf. Auch Peppi Gippel und St. Paulis rechtem Verteidiger fiel ihre Ähnlichkeit auf.
»Leiwande Frisur«, sagte Peppi zum Abwehrspieler, der mit einem Lächeln antwortete:
»Danke, Alter, wollt ich auch grad sagen, hast derbst-geile Haare.«
Und daraufhin vereinbarten sie, nach dem Spiel die Trikots zu tauschen.
Schließlich kam der Pfarrer unter strengen Blicken aufs Spielfeld und nahm eine Spielersegnung vor, die bis auf den gläubigen Mittelfeldspieler ghanesischer Herkunft alle St.-Pauli-Spieler verwirrte. Der Mittelfeldspieler hingegen senkte wie die St.-Petri-Spieler demutsvoll die Augen und nahm sich vor, seine Karriere in den Alpen ausklingen zu lassen, denn er empfand es als schönes Ritual, ein Fußballspiel mit einem Gebet anstatt einer Hymne zu eröffnen. Sepp Gippel betete sein eigenes Gebet zum Fußballgott, die Blamage möge nicht allzu groß werden, die St. Petrianer beteten kollektiv um ein Wunder, Peppi betete um ein gutes Spiel, und Johannes, der im Schatten der VIP – Tribüne ein ruhiges Plätzchen gefunden hatte, betete nicht, dachte nicht, sondern beobachtete. Was er vor seinen Augen sah, kam ihm unmöglich vor. In St. Peter am Anger waren mehr fremde Menschen zu Besuch, als das Dorf Einwohner hatte. Die Jugendmannschaft des
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