Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
sie vergeblich nach Piercings oder obszönen Tattoos und waren überrascht, dass der Betreuerstab aus seriösen Männern und nicht aus Prostituierten bestand.
Die St. Paulianer hingegen waren verblüfft, da sie sich ein idyllisches Alpendörfchen ganz anders vorgestellt hatten. Sie fragten sich, wo die Kühe mit läutenden Glocken, gutmütigen Alm-Öhis mit weißem Bart und blonden Sennerinnen mit langen Zöpfen geblieben waren. Einige Spieler blickten verwirrt zu Boden, da einige Dorfmädchen ihre Dirndln im Stil von Hamburger Prostituierten und Punk-Girls umgeschneidert hatten. Sogar der Kater Petzi hatte eine Totenkopfflagge an sein Flohband gebunden bekommen. Ein Mittelfeldspieler entdeckte zumindest vier traditionell gekleidete Alm-Öhis, doch die saßen regungslos auf zwei Bänken vor der Kirche. Auf die Distanz konnte man nicht sagen, ob sie Puppen waren oder tot.
Schließlich zitterte der kleine Wenzel Rossbrand vor Aufregung und Anspannung so sehr, dass ihm der Stab seiner Triangel aus der Hand fiel und ein lautes Klirren verursachte. Dieser wohlbekannte Klang weckte zumindest die Blasmusik aus ihrer Schockstarre, und sie besann sich darauf, wie geplant zur Begrüßung zu spielen. Der Taktmeister schwang seinen Taktstock und der Percussionist eine Kuhglocke, die man der Kuh Enzi abmontiert hatte, um die Glocken aus dem Intro der Hymne von St. Pauli nachmachen zu können: Hells Bells. Es war ein Zeugnis für das hohe Niveau der St.-Petri-Blasmusik, dass sie es geschafft hatte, ein AC/DC – Lied für Blasmusik zu adaptieren, dennoch schreckten die Spieler im ersten Moment zusammen, als sie realisierten, dass das ihre Stadionhymne war, die da aus Trompeten, Klarinetten und anderen Blasinstrumenten tönte. Als die Blasmusik zu spielen aufgehört hatte, blickten sich die Spieler kurz ratlos an, dann begann der Trainer zu applaudieren und laut »Bravo!« zu rufen, woraufhin die Spieler mitmachten. Der Trainer war seit siebzehn Jahren beim FC St. Pauli, hatte 260 Spiele bestritten, war danach Vizepräsident, Manager und dann Trainer geworden – doch in diesen zwei Dekaden hatte er niemals etwas Vergleichbares gesehen. Nach seiner langen Karriere im Herzen Hamburgs hatte er eigentlich gedacht, alle Kuriositäten der Welt kennengelernt zu haben. Laut bedankte er sich im Namen der Mannschaft für diesen Empfang und scherzte:
»Na, ich hab ümmer gedacht, bei uns auf St. Pauli gib’s die schrächsten Ideen, nich! Aber ich würd ma sagen, da machen’se uns hier inne Alpen große Konkurrenz mit!«
Die St. Petrianer freuten sich über das Lob, und während der Volksschulchor in die erste Reihe trat, um sein Begrüßungslied zu singen, flüsterte Sabine Arber in Angelika Rossbrands Ohr:
»Na, de sand do eh ganz nette Leut.«
Doch Angelika hörte sie nicht, weil sie zu beschäftigt war, sich die Frisuren der Fußballspieler einzuprägen. In St. Peter am Anger gab es bis dato fünf Standardhaarschnitte, aber die Dorffriseurin nahm sich vor, das von nun an zu ändern, und überlegte, welchem ihrer Kunden sie die Frisur des linken Mittelfeldspielers schneiden sollte und wem sie ein Styling à la Stürmer verpassen würde.
Etwas abseits standen die älteren Damen zusammen und hatten nur Augen für den gebürtigen Ghanesen, der Mittelfeld spielte. Frau Hohenzoller hatte Johannes einige Tage vor dem Spiel gefragt, ob denn die Leute dort oben an denselben Gott glauben würden wie die St. Petrianer, und da sich Johannes auf keine Diskussionen hatte einlassen wollen, hatte er recherchiert, dass der Mittelfeldspieler einen sehr starken Glauben hatte und der alten Hohenzoller einen Auszug der Website in die Hand gedrückt, auf der der Fußballer seine liebsten Bibelstellen aufgelistet hatte, was den streng katholischen alten Damen sehr imponiert und die Pfarrersköchin Grete sogar in Verzückung versetzt hatte. Nun jedoch, als sie ihn in natura sahen, vergaßen sie die Gebete, die sie mit ihm hatten sprechen wollen. Es flüsterten die alten Frauen Hohenzoller, Rettenstein und Trogkofel zueinander, die das erste Mal in ihrem Leben mit eigenen Augen einen Menschen afrikanischen Hauttyps sahen:
»Glaubst, der is überall so dunkel?«
»Sicha, bist jo a überall so kaasfarbn.«
»Scho a fescher junger Bursch.«
»Jo, fesch is a.«
»Schlank und kräfti, ohne dass a so zaudürr is wia der neben eam.«
»Jo, owa, glaubst, wennst neben dem in da Nacht munter wirst, glaubst siecht ma den dann
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