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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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und ging zurück ins Café. Puppi II folgte ihr mit wild wedelndem Schwanz.
    Johannes war endlich eingeschlafen, hing mit zur Seite gekipptem Kopf in den Gurten des Kinderwagens und döste friedlich. Von draußen sah Ilse in den Versammlungssaal, Marianne deutete mit hochgezogenen Augenbrauen auf ihre Armbanduhr. Ilse löste die Doppelradbremse des Kinderwagens und fuhr zum Haus ihres Vaters, ohne sich von den Freundinnen zu verabschieden.
    Doktor Johannes Gerlitzen hätte niemals vermutet, dass er es der Kaffeehausmatronin Frau Moni zu verdanken hatte, dass Ilse im Frühjahr 1994 die weiße Flagge schwenkte und mit ihrem Sohn zum ersten Mal in seine Ordination kam. Die letzten anderthalb Jahre war sie immer zu einem Kinderarzt in Lenk im Angertal gefahren, denn nach ihrem Zwist rund um Klein-Johannes’ Geburt hatten sich Vater und Tochter weder ausgesprochen noch versöhnt.
    Johannes Gerlitzen kritisierte oft die seiner Meinung nach nicht vorhandene Hygiene im Café. Puppi war ihm ein Dorn im Auge, er hielt es für unvertretbar, dass die Malteserdame auf allen Bänken und Stühlen eines Gastronomiebetriebes ihr Mittagsschläfchen halten durfte, und er warnte Frau Moni wöchentlich vor diversen Wurm- und Lauserkrankungen, die dadurch im Dorf verbreitet werden könnten. Doch Johannes wusste nicht, dass Puppi sauberer als der Durchschnitt der Kindergartenkinder war. Puppi wurde von Frau Moni regelmäßig mit Anti-Floh-Shampoos in verschiedenen, zur Jahreszeit passenden Duftrichtungen gewaschen, und es steckten sich nicht die Kinder bei Puppi mit Läusen an, sondern Puppi holte sich ihre Läuse bei den Kindern.
    In der Ordination wollte Ilse Johannes Anweisungen geben, wie er den Kleinen zu halten habe, doch sie stellte fest, dass ihr Vater seinen Enkel ohne dessen Protest herumtragen, auf den Untersuchungstisch setzen und sogar entkleiden konnte. Nicht einmal Alois wusste, wie man Johannes das Leibchen auszog, ohne dass er zu weinen begann. Mit einer ihr unbekannten Selbstverständlichkeit ließ sich ihr Sohn das kalte Stethoskop an die Brust legen, mit dem Reflexhammer aufs Knie klopfen, mit der Diagnostikleuchte in die Augen blenden und sogar in Hals und Nase schauen. Zum Abschluss schnitt der Großvater noch eine Grimasse, und sein Enkel quietschte vergnügt. Erst als Johannes Gerlitzen eine Plastikschale öffnete, die von der Form her einem Mikrowellenfertiggericht glich, begann der kleine Johannes zu weinen. Ein Allergietest war niemandem angenehm. Ilse wurde nervös. Sie versuchte, ihrem Vater zu erklären, dass ihr Kind keine Allergien habe, doch der lächelte mild und fuhr mit der Prozedur fort. Die kleine Nadel, mit der er die Haut des Buben aufritzte, während Ingrid ihn festhielt, war dem Kind sehr zuwider, und als es zu laut schrie, pausierte der Arzt. Er schickte Ingrid um Spielsachen aus dem Wartezimmer, versuchte derweil, das Kind mit lustigen Gesichtsausdrücken, dem Stethoskop und dem Reflexhammer abzulenken, aber der Kleine wollte nicht aufhören, seinem Ärger über das Brennen Luft zu machen. Der Großvater wedelte mit allen Gegenständen, die er in der Umgebung fand, vor seinem Enkel herum, und als er schon aufgeben und nach Ingrid rufen wollte, die sich im Wartezimmer in eine Unterhaltung über die neue Frisur von Edeltraud Parseier hatte verwickeln lassen, wurde der Kleine plötzlich ruhig, denn er entdeckte des Doktors Rezeptblock mit angeklemmtem Kugelschreiber. Er umklammerte mit leuchtenden Augen seinen Fund, betapste das Papier, kostete den Stift und hatte im Handumdrehen herausgefunden, wie man die Mine des Kugelschreibers herausdrücken konnte. Vergnügt beobachtete er, wie der Stift Linien auf das karierte Papier zog. Ilse und Johannes stellten sich verwundert neben den Buben, legten die Köpfe schief, und als er sie bemerkte, blickte er auf – seine Lippen waren kugelschreiberblau, hellblaue Spucke rann ihm zu beiden Seiten aus den Mundwinkeln, und zufrieden wie Gott in Frankreich schmatzte er ein glückliches:
    »Mhmmm!«
    »Geh, Johannes, pfui!«, sagte Ilse entnervt und wollte ihm den Stift und den Block wegnehmen, doch der Doktor schritt dazwischen.
    »Ilse, lass ihn die Welt entdecken!«
    Johannes Gerlitzen wusste nicht, wieso, aber sein Herz machte einen Freudensprung. Es berührte ihn, wie innig der Kleine mit Kugelschreiber und Block spielte, und obwohl es kindliches Spiel war, das auch mit einem anderen Gegenstand hätte passieren können, war sich Doktor Johannes Gerlitzen in

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