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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Ende. Ich möchte erinnern, daß bereits Herodot zeigt, wie ein Frevel an den Göttern niemals ungestraft bleibt. [3.5.] Trotz der Unwegsamkeit der Berge rund um die Sporzer Gletscher kamen, wie nun oft geschrieben steht, eines Tages Pilger in das kleine Dorf, die von jenem sogenannten Kolomaniwunder gehört hatten. Das den Bergbarbaren angelernte christliche Gastrecht sorgte dafür, daß sie keinen der Wallfahrer schlachteten, doch sie begannen, Tribut dafür zu verlangen, daß die Pilger in ihren Heustadln übernachten und in ihrer Kirche beten durften. [3.6.] Die Mönche waren von diesen Entwicklungen zutiefst beunruhigt, vor allem, so vermute ich, da sie selbst nicht davon profitierten. Und so beschlossen sie, den Koloman auszugraben und im Lenker Kloster zu bestatten. Den Dorfbewohnern erklärten sie, ihrem Abt seien fünfhundert Engel mit gewaltigen Trompeten erschienen, und diese hätten das Exhumieren befohlen, da für einen Heiligen wie Koloman eine einfache Dorfkirche zu minder sei und man ihm im Kloster eine prunkvolle Begräbnisstätte errichten müsse. [3.7.] Glücklich waren die Dorfbewohner darüber nicht, aber sie ließen die Mönche gewähren. Es geschah jedoch, daß dort, wo der Weg ins Tal durch Wälder führt, der Zug überfallen wurde. Frauen und Männer, junge und alte, Gläubige und Diebe rissen in wilder Raserei den Deckel des Sarges herab und versuchten, ein Stück des Heiligen zu ergattern. Die Mönche konnten die Meute nicht davon abbringen, das Gerippe zu zerfledern, und so eilten die Menschen mit einem Schlüsselbein in der einen Hand und einem Fingerknochen in der anderen davon. Ich vermute, daß kaum etwas von Koloman übriggelassen wurde. Damals waren nämlich sogar Zehennägel eines populären Heiligen von großem Wert. [3.8.] Die Dorfbewohner jedenfalls hörten mit seiner Verehrung nach diesem Vorfall auf. Sie waren, wie ich vermute, überaus erbost und vor allem zutiefst enttäuscht, daß der Leichnam inzwischen verwest war.

Der Geschmack des Kugelschreibers
          
    Kurz nachdem Marianne Rettenstein bekannt gegeben hatte, dass sie ein viertes Kind erwartete, wurde sie, wie es der St.-Petri-Mutter mit den meisten schulpflichtigen Kindern zustand, zur Vorsitzenden der Mütterrunde gewählt. Die Mütterrunde war eine der wichtigsten Institutionen in St.   Peter am Anger und bestand aus allen St.-Petri-Müttern, deren Kinder noch nicht volljährig waren. Die Mütterrunde kümmerte sich um die Organisation von Buffets bei Dorffesten, die Dekoration der öffentlichen Gebäude, der Kirche und um alle weiteren sozialen Belange des Dorflebens, während der aus Männern bestehende Gemeinderat die infrastrukturellen und politischen Interessen des Dorfes wahrte. Vorsitzende der Mütterrunde zu sein war eine große Ehre, und Marianne Rettenstein nahm ihren Posten so ernst, dass sie mehr Ersatzkugelschreiber als Reservewindeln in der Wickeltasche hatte. Vor ihrer Hochzeit war sie eine Ebersberger gewesen. Egal ob Dorfleitung oder Kleinvereinsverwaltung: Führungspositionen wurden in dieser Familie mit viel Ernst wahrgenommen. Doch ihr Amt bescherte Marianne mehr schlaflose Nächte als die wachsenden Zähne ihrer jüngsten Töchter. Denn seit Ilse Irrwein Mitglied war und ihren anderthalbjährigen Sohn Johannes zu den Versammlungen mitbrachte, war der gewöhnlich reibungslose Ablauf nachhaltig gestört.
    Mit Blick auf ihre frühere beste Freundin verkündete Marianne Rettenstein den vierten Tagesordnungspunkt der zweiten Mütterrundensitzung im Frühjahr 1994: Änderung des Kuchenangebots bei Heimspielen des FC St.   Peter am Anger , und hakte die römische Vier auf ihrer To-do-Liste ab. Sabine Arber, die jüngste Mutter der Runde, räusperte sich und schlug mit zittrigen Händen ihr Haushaltsbuch auf.
    »Ja oiso, wia i da Marianne scho g’sagt hab, fänd i’s besser, wenn wir statt fünf Sortn Turtn und vier Blechkuchn nur vier Sortn Turtn und drei Blechkuchn, owa a nu Keks und Schaumrolln anbietn tätn.«
    Sabine Arber stotterte plötzlich wieder wie zu Beginn ihrer Kindergartenzeit. Sie hatte wochenlang an ihrem Vorschlag getüftelt, nachdem sie beobachtet hatte, dass ein großer Teil der Mehlspeisekonsumenten am Fußballplatz, wo die Mütterrunde wie bei allen anderen öffentlichen Ereignissen im Dorf das Buffet organisierte, Kinder waren. Am Fußballplatz gab es so viel zu erleben, da fehlte den Jüngsten die Ruhe, einen Kuchen im Sitzen zu essen, und so patzten sie sich die

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