Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
Vom Netzwerk:
diesem Moment sicher, eine Neigung bei seinem Enkel entdeckt zu haben, die man unbedingt fördern musste. Zumal er Ilse am liebsten das Sorgerecht entzogen hätte, als der Test eine Allergie gegen Staub und Roggen anzeigte und Ilse daraufhin in einen Weinkrampf ausbrach.
    »Wieso is da Johannes scho wieda des einzige Kind in St.   Peter, wos anderst is wia de andern und a Allergie hat. Wieso muaß i immer de Oarschkartn ham? Wieso kann i net afoch a Lebn wie olle andern a führn?«
    Ilse heulte und schluchzte, während der kleine Johannes vergnügt experimentierte, wie sich die Farbe des Stiftes veränderte, wenn er sich die Haut anmalte. Johannes Gerlitzen schüttelte den Kopf und hielt sich aus Freude über seinen Enkel zurück, Ilse zu rügen. Er wusste, dass die Mütterrunde Allergien als Zivilisationskrankheit betrachtete, gegen die man in St.   Peter am Anger, wo das Leben natürlich und geordnet war, als gutes Kind immun zu sein hatte, und ärgerte sich, dass seine Tochter solch ein Herdentier geworden war.
    Johannes Gerlitzen nahm den kleinen Johannes auf den Arm, woraufhin dieser vor Freude sein Gesicht an Johannes Gerlitzens Arztkittel abschnuddelte, sodass eine Schneckenspur aus blauer Spucke und Rotz auf der Schulter übrig blieb.
    »Du wirst mein kleiner Nachwuchsforscher, und ich zeig dir die große Welt, damit du nicht mit den doofen St.-Petri-Kindern auf ihren gefährlichen Klettergerüsten spielen musst«, murmelte Johannes Gerlitzen und kitzelte den Buben am Bauch.
    Der kleine Johannes quietschte vergnügt, als hätte er jedes Wort verstanden, und streckte seine Hände sofort wieder nach dem Rezeptblock aus. Ilse bekam davon nichts mit. Sie heulte so energisch, dass Ingrid sie mit der Schokolade beruhigen musste, die sie für die Kleinsten in ihrem Kittel trug.

[Die Entdeckung der Heiratspolitik, Notizbuch I]
    [3.9.] Nachdem der heilige Koloman, in einzelne Teile zerlegt, seine Reise in die Welt angetreten hatte, beschlossen die Dorfbewohner, daß sie sich nicht von anderen organisieren lassen wollten, sondern es an der Zeit war, sich selbst zu organisieren und einen Anführer zu wählen, der von einem Ältestenrat gestützt wurde. [4.0.] Der erste, den sie wählten, war ein junger Mann namens Rettenstein. Er war stark an Kraft und reich an tapfrem Mut, doch seine Territorialwünsche waren dem Dorf nicht zuträglich. Rettenstein holte einen der alten Gründe für Feindschaft aus den schwarzen Tiefen der Vergangenheit hervor und zettelte kriegerische Auseinandersetzungen an, um mehr Äcker, mehr Tiere, mehr Getreide und somit mehr Macht zu erwerben. Diese Bestrebungen gab er weiter an seinen Sohn, dem dessen Sohn nachfolgte, der aber nur kurz herrschte, weil er während eines Kriegszuges von einem Wildschwein aufgespießt wurde. [4.1.] In der fünften Generation hatte die Herrschaft der Rettensteins dann ein Ende, als sie Kriegszüge gegen die Nachbarn verloren. Die Mönche jedoch verhinderten die Unterknechtung der Bergbarbaren, da ihnen daran gelegen war, daß niemand anderer als sie selbst von den Bergbarbaren Tribute eintrieb. [4.2.] Die Rettensteins wurden der Macht enthoben, doch wie ich beobachtet habe, ist ihre territoriale Erweiterungssucht seit dem Mittelalter nicht zum Erliegen gekommen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Drang nach Besitzerweiterung die männlichen Nachkommen dieser Sippe durchzieht und daß ihre Herzen die Form eines Grundbuches haben. [4.3.] Da sie von der Macht ausgeschlossen worden waren und diese nicht mehr zurückbekommen konnten, mußten sie andere Möglichkeiten finden, um ihre Besitzgelüste zu vergrößern, und so entdeckten sie, wie ich selbst nachgeforscht habe, das Heiraten. Einer jeden Eheschließung ging eine lange taktische Planung voraus, und auch heute noch kann ich bezeugen, daß die Familie Rettenstein das Heiraten für strategische Zwecke nutzt.

Die Schlammzeit
          
    Über den März 2001 schüttelten die St.-Petri-Bauern die Köpfe. Soweit man sich erinnern konnte, begann die Schneeschmelze im März und erstreckte sich bis weit in den April, worauf schließlich gegen Ende des Monats die Schlammzeit folgte. Die eine Hälfte der Bauern nannte diese ein- bis zweiwöchige Zeit der Überwässerung des Bodens den letzten Atemzug des Winters , die andere Hälfte meinte, sie wäre das erste Lebenszeichen des Frühlings, und Jahr für Jahr wurde während der Schlammzeit über die richtige Bezeichnung gestritten, und Jahr für Jahr

Weitere Kostenlose Bücher