Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Leibchen voll, was Sabine Arber auf die Idee der laufgeeigneten Süßspeisen gebracht hatte. Ihre Wangen glühten himbeerfarben, als die Versammlung applaudierte. Alle stimmten zu, dass die schlagobersverschmierte Kinderkleidung nach Fußballspielen ein großes Problem darstellte und dass Kekse wie Schaumrollen eine fabelhafte Idee seien, die bei den Kindern sicherlich gut ankäme. Zufrieden stellte Marianne Rettenstein durch Hochhalten ihres Kugelschreibers Ruhe her. Sie wollte die Abstimmung eröffnen, doch plötzlich versetzte lautes Kindergebrüll die Mütter in Alarmbereitschaft. Als die Frauen bemerkt hatten, dass es nicht das eigene Kind war, das weinte, sondern der kleine Johannes A. Irrwein, ging ein Raunen durch das Hinterzimmer des Café Moni, in dem die Mütterrunde seit Jahrzehnten unter strengem Ausschluss aller männlichen Dorfbewohner tagte. Ilse Irrwein war kurz davor, unter die Tischplatte zu gleiten. Marianne seufzte.
»Tschuldigts«, murmelte Ilse mehr in den Kragen ihres Pullovers als zu den Anwesenden und eilte geduckt aus dem Zimmer.
»Guat, Pause, bis de Ilse wiedakummt.«
Marianne war bemüht, sich ihren Ärger über die abermalige Unterbrechung nicht anmerken zu lassen, dennoch klang die Gereiztheit in ihrer Stimme durch. Fast zwei Stunden dauerte die Sitzung bereits an, trotzdem waren sie erst bei Tagesordnungspunkt IV von XV. Seit Johannes’ Geburt wurden die wichtigen Besprechungen der Mütterrunde ständig von seinem Bitzeln unterbrochen. Einige Mitglieder hatten an Marianne herangetragen, die Statuten der Mütterrunde zu ändern. Die Mütterrunde war eine gemeinnützige Interessengemeinschaft, deren Grundsatz die Rücksichtnahme auf die Pflichten einer Mutter war. Wenn man kleine Kinder betreuen musste, war es kaum möglich, engagiert in anderen Entscheidungsgremien des Dorfes mitzuwirken. Nirgendwo sonst wurden Sitzungen verschoben, wenn die Kinder krank waren, oder Abstimmungen vertagt, wenn die Kinder weinten. Anders in der Mütterrunde; hier wurden keine Entscheidungen getroffen, wenn ein Mitglied aufgrund von Kinderpflege nicht teilnehmen konnte. Marianne blickte auf die Uhr und in die Runde. Sie konnte die vorwurfsvollen Blicke der anderen Mütter gut verstehen. Noch nie hatte es ein Kind wie diesen Johannes gegeben.
Frau Moni, die Besitzerin des Café Moni, hatte in ihrem Café eine große Spielecke für die Sprösslinge eingerichtet und sponserte die Mütterrundentreffen, indem sie während der Sitzungen zwei Dorfmädchen als Babysitterinnen beschäftigte. Es gab Bausteine, Puppen, Verkleidungsgewand, Lego, Playmobil und weitere Spielsachen, die in den St.-Petri-Kinderzimmern nicht vorhanden waren. Im Hinterhof, den man vom Versammlungszimmer aus dank einer durchgehenden Fensterzeile überblicken konnte, befanden sich Sandkästen, Schaukeln, Rutschen und im Sommer ein Planschbecken. Meist freuten sich die Kinder mehr auf die Mütterrundentreffen als die Mütter, nur der kleine Johannes A. Irrwein steigerte sich in Schreikrämpfe, setzte man ihn zu den anderen in die Sandkiste. Marianne sah auf die Uhr, einige Mütter lehnten mit den Ellenbogen auf der Tischplatte, klopften mit den Nägeln aufs Holz, zogen Schnuten oder starrten ins Narrenkasterl. Marianne wusste, wie wichtig die Teilnahme für Ilse war. Sie verstand, wie einsam sich Ilse während der Dekade ohne Kind gefühlt hatte. Andererseits musste sie als Vorsitzende auch die Beschlussfähigkeit des Vereins wahren. Marianne seufzte abermals, streichelte ihren gewölbten Bauch und freute sich auf die dreimonatige Karenzpause nach der vierten Geburt.
Im Hinterhof versuchte Ilse, ihren Sohn durch Grimassenschneiden zu beruhigen. Marianne Rettenstein, Angelika Rossbrand und eine Handvoll Frauen kamen aus dem Versammlungszimmer, holten sich krokusfarbene Gartenstühle unter der Pergola hervor, die noch von einer Frostschutzplane bedeckt waren, weil es zu früh im Jahr war, um länger draußen zu sitzen, und gesellten sich zu ihr.
»Tuat ma leid, owa da Klane hat scho wieda seine spinnaden fünf Minutn. Do schreit a afoch und hört net auf«, versuchte sie zu erklären und hutschte heftig an der Lenkstange des Kinderwagens.
»Vielleicht ziehst eam z’woarm an?«
Angelika Rossbrand streckte die Hand aus, um dem Kleinen das Häubchen abzunehmen. Johannes heulte auf wie eine Sirene, sodass sie den Arm erschrocken zurückriss.
»Na, des sicha net. Kaum zieh i eam s’Jackerl aus, verkühlt er si, lass i a nur des Fensta
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