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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Schlappi war das vorletzte Geburtstagsgeschenk von Doktor Opa gewesen. Ein Studienobjekt für den Nachwuchsforscher, allerdings hatte Ilse nicht erlaubt, dass er das Tier zu Hause hielt. Ilse vertrat die Meinung der St.-Petri-Mütterrunde; essbare Tiere – zum Beispiel Kuh, Schwein, Hase – und solche Tiere, die dazu da waren, andere Tiere zu essen – wie die Katze –, hatten im Haus nichts zu suchen. Ilse hatte gedroht, ihr Rezept für geschmorten Hasenbraten in Rosmarinsauce zu geschmortem Kaninchen in Rosmarinsauce abzuwandeln, also hatte Johannes Gerlitzen Schlappi, auf die Mütterrunde schimpfend, ins Ärztehaus übersiedelt.
    »Schau, Schlappi, da kriegst a bissi a Karottn«, sagte Johannes und öffnete die Käfigtür, während sein Großvater aus dem Nebenzimmer rief:
    »Schön sprechen, Johannes!«, woraufhin sich der Bub sofort korrigierte: »Hier, lieber Schlappi, etwas Karotte für dich.«
    Johannes Gerlitzen lächelte zufrieden. Seit sein Enkel sprechen konnte, versuchte er, ihm den St.-Petri-Dialekt abzugewöhnen, denn Johannes Gerlitzen war der Meinung, Dialekt zu sprechen, würde die Kinder beim Erlernen von Lesen und Schreiben massiv behindern. Zudem wollte er, dass Johannes keinen Nachteil gegenüber den Schülern aus der Stadt hatte, wenn er später einmal aufs Gymnasium ging.
    Ohne dass er aufgefordert werden musste, brachte der kleine Johannes Teller und Besteck nach dem Essen in die Abwasch. Im Bad stellte er sich neben Doktor Opa auf den Kinderschemel, um seine Arme bis zum Ellenbogen nass zu machen. Johannes Gerlitzen hatte seinem Enkel viele Male von der Wichtigkeit steriler Hände erzählt, und mittlerweile wusch sich der Bub mit der Genauigkeit eines Chirurgen. Außenrist, Handflächen, Handrücken, Ballen, vom Daumen aus alle Finger, die Nägel nicht vergessen, und hoch bis zur Mitte des Unterarms. Johannes Gerlitzen hatte sein Handtuch rechts, der Bub seines links, ebenso waren ihre Zahnputzbecher angeordnet, der des großen Johannes mit Haftcreme und Reinigung für seine Brücken, der des kleinen Johannes mit nach Himbeeren schmeckender Kinderpaste und Drachenbürste, hin und wieder durfte er beim Großvater schlafen, wenn seine Eltern tanzen gingen oder am nächsten Tag ein Feiertag war.
    »Was erforschst du heute, Doktor Opa?«
    Johannes setzte sich an seinen Kinderschreibtisch, den Doktor Opa aus der Stadt bestellt hatte – die Schreibfläche konnte aufgestellt werden, und die Füße waren höhenverstellbar, damit sein Rücken gerade blieb, wenn er wuchs. Johannes Gerlitzen wusste, wie wichtig es war, bei Kindern, die geistige Berufe ausüben würden, früh auf eine gute Haltung zu achten.
    »Hundespulwürmer. Möchtest du assistieren?«
    Der kleine Johannes schluckte, gab sich Mühe, so herzlich wie möglich zu lächeln, und kletterte in seinen Forscherkittel, während Johannes Gerlitzen die Objekte aus einem der Präparats-Kühlschränke im Keller holte. Ingrid war so nett gewesen, einen alten Arztkittel untenrum und an den Ärmeln zu kürzen. Sie hatte jedoch darauf verzichtet, ihn im Schulterbereich einzunähen, sodass sich rund um den Oberkörper des Kleinen der Stoff bauschte. Johannes Gerlitzen brachte fünf tote Mäuse, einige Mikroskop-Plättchen, die bereits mit Präparaten bestückt waren, und Reagenzgläser mit fünf bis zehn Zentimeter langen Würmern. Der kleine Johannes versuchte, freudig dreinzublicken, doch teilte er die Leidenschaft seines Großvaters für die Erforschung von Würmern, die in anderen Lebewesen hausten, nicht so sehr, wie es beiden lieb gewesen wäre. Doktor Opa hatte ihm schon oft die Geschichte von seinem eigenen Bandwurm erzählt, das Spiritusglas stand prominent auf seinem Schreibtisch in der Ordination, dennoch wurde dem Kleinen sogar unwohl zumute, wenn er einen Regenwurm entdeckte – und die gab es in der Schlammzeit zur Genüge.
    »Schau mal, Johannes, heute untersuchen wir den Toxocara canis! Weißt du noch, welcher das ist?«
    Johannes vermied aufgrund seines sensiblen Magens, genauer hinzusehen.
    »Das ist der Spulwurm des Hundes. Ein ganz gefuchstes Biest. Der Toxocara canis legt seine Würmer im Freien ab, ein Hund nimmt sie dort auf, dann wandern sie durch den Körper und legen viele Eier, die direkt von einem Mutterhund an einen Welpen übertragen werden können, und so weiter. Der Spulwurm des Hundes ist vor allem für Kleinkinder sehr gefährlich, weil sie die Eier verschlucken können. Die Eier sind so klein, man kann sie mit

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