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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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ein großes Bücherregal, in dem die Einbände nach Farbe geordnet waren. Pater Tobias strahlte, wollte sie friedvoll begrüßen, doch Ilse drang gleich in medias res:
    »Es is sogar scho so schlimm, dass wir hiazn a Katz ham, und der depperte Kater rennt überall im Haus umadum.«
    Ilse redete schnell und viel, denn es war ihr wichtig, Pater Tobias verständlich zu machen, dass es nicht so weitergehen konnte. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass ihr die Schule unsympathisch war. Außerdem sorgte sie sich um Johannes’ Sozialleben, da er nie Freunde zu Besuch hatte noch andere besuchte oder davon erzählte, Kontakt mit anderen Menschen zu haben. Vor allem aber beunruhigte sie Johannes’ Eifer, Doktor Johannes Gerlitzen nachzufolgen.
    »I woaß net wieso, owa i glaub, da Johannes is afoch ka so a Doktor«, sagte sie und dachte daran, wie er versucht hatte, Petzis Herzfrequenz mit dem Stethoskop abzuhören, und ihm der Kater beinah das Auge ausgekratzt hatte.
    Auch Pater Tobias war nicht verborgen geblieben, wie der junge Johannes zwischen erzwungener Begeisterung für und tiefer Abneigung gegen die Naturwissenschaften oszillierte. Unlängst hatte der Geschichtslehrer Johannes’ flammendes Engagement im Unterricht gelobt, während der Chemielehrer erwähnt hatte, er mache sich gelegentlich Sorgen, der Junge würde die Dämpfe nicht vertragen und bald umkippen. Pater Tobias verabschiedete Ilse mit dem Versprechen, sich darum zu kümmern, dass Johannes’ naturwissenschaftliche Obsession in die richtigen Bahnen gelenkt würde. Ilse hatte keine Ahnung, was der Pater damit meinte, sondern hoffte, es würde auf ein Verschwinden des Katers hinauslaufen. Ilse hasste kaum etwas mehr als Tiere im Haus, schon Schlappi war ihr ein Dorn im Auge gewesen, doch dessen Vorzug war zweifellos der Käfig gewesen. Den Kater hatte sie ein paarmal dabei erwischt, wie er am Tisch gesessen war. Sie hatte ihn mit einem Geschirrtuch verjagt, jedoch nicht verhindern können, dass er am nächsten Tag im Bett döste.
    Pater Tobias wusste, dass es eine heikle Mission sein würde, Johannes’ Fixierung auf die Naturwissenschaften umzulenken. Der Bursche war durchdrungen von der Mission, selbst Arzt zu werden, ohne zu merken, dass er ganz andere Begabungen hatte.
    Pater Tobias war neben seinen seelsorgerischen Aufgaben in der Pfarrgemeinde auch für die Betreuung begabter Schüler zuständig. Diese Aufgabe hatte er vor zwei Jahren von Pater Jeremias übernommen, der sich zurückgezogen hatte, nachdem er die achtzig überschritten hatte und jene Novizen, die ihm den Spitznamen Pater Hiob gegeben hatten, sich ebenfalls schon kurz vor der Pensionierung befanden. Pater Jeremias, der immer zuerst die üblen Seiten des Lebens erkannte, hatte den begabten Schülern ständig erklärt, wie schlecht es um die Zukunft der Welt stand, um sie dadurch zu ermutigen, dem Verfall von Sitte, Kultur und Bildung entgegenzuwirken. In den vierzig Jahren, in denen Pater Jeremias die Förderklassen betreute, hatte ihn die Mehrheit der Schüler für einen Spinner gehalten, der sich zu viel mit der Apokalypse beschäftigte. Doch vier Schüler, die vor dreieinhalb Jahren in seinem Programm gelandet waren, hatten jedes seiner Worte aufgesogen, ihre Herzen davon überzeugen lassen, dass es um die Welt tatsächlich so schlecht stand, wie Pater Jeremias permanent predigte, und einen Klub zur Erhaltung der klassisch-europäischen Bildung gegründet: den Digamma-Klub.
    Mauritz von Baumberg, Severin Dietrich, Ferdinand Blumenbach und Albert Fenner hatten völlig verschiedene Hintergründe, teilten jedoch den dringenden Wunsch, die Zivilisation zu bewahren. Während Mauritz im Nebental auf einem Jagdschloss lebte, kam Albert aus einem kleinen Dorf talauswärts von Lenk, Severin war der Sohn eines Apothekers, und Ferdinands Familie besaß eine große Gärtnerei. Trotzdem hatten sich die vier vom ersten Schultag an prächtig verstanden und schon nach kurzer Zeit die Überzeugung geteilt, dass das Wichtigste im Leben der Erhalt der klassisch-europäischen Bildung sei. Die vier trafen sich jeden Tag nach der Schule zum gemeinsamen Studium, zur Erörterung und Vertiefung des Gelernten – beschäftigten sich aber ausschließlich mit den Fächern Griechisch und Geschichte. Auch nach der Schule trugen sie Krawatte, Hauspantoffeln verabscheuten sie, sie lasen ausschließlich altgriechische Autoren und rümpften die Nase, wann immer sie an der Lenker Buchhandlung vorbeigingen und dort die

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