Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
seiner Höhle zurück. Eine weitere Jahreszeit benötigten die Frauen, ihn mit Wurzelsuden, allerlei Korn und Milch wieder auf die Beine zu bringen, und es wird sogar berichtet, daß die jungen Mütter von ihrer Milch abzweigten, damit er wieder zu Kräften käme. [6.4.] Aus Dankbarkeit und Ehrfurcht vor der christlichen Nächstenliebe und ebenso aus Angst, dies gute Dorf vielleicht doch noch an den andersgläubigen Feind zu verlieren, blieb der Mönch daraufhin für immer am Angerberg, wo er, wie ich selbst nachgeprüft habe, zum ersten Dorfpfarrer wurde. Sein Grabstein ist dort heute noch zu sehen. [6.5.] Die St. Petrianer waren nicht unglücklich über diese Entwicklung, vor allem aber, als von einem schrecklichen Krieg berichtet wurde, dessen Ursache die Auseinandersetzung zwischen der alten Art zu glauben und den neuen Ideen war, die einst auch jener Wanderprediger vergebens in St. Peter verkündet hatte. [6.6.] Schließlich seien Verwundete und Vertriebene auf dem Angerberg eingetroffen, deren Dörfer geplündert und gebrandschatzt worden seien, wie die Chroniken nun weiter berichten. [6.7.] Die Bergbarbaren halfen denen, die kamen, gaben ihnen Kleidung, Wohnung und Speise, und diese Geflohenen priesen das Dorf als letzten glücklichen Ort der Welt, denn während rundherum das Christenvolk einander bekriegte, herrschte in St. Peter paradiesischer Frieden. [6.8.] Einige der Schutzsuchenden, die mit der neuen Lehre sympathisiert hatten, bekehrten sich daraufhin wieder zum alten Glauben, als die St. Petrianer ihnen nämlich eröffneten, daß sie nur dann hier bleiben dürften, wenn sie alle dasselbe glaubten. Und so versteckte sich St. Peter am Anger dreißig Jahre lang auf dem Gipfel seines Berges und verfestigte seine Überzeugung, daß es überall viel schlechter sei als in jenem kleinen Dorf.
Der Digamma-Klub
Als Ilse unter der Eingangspforte des Klosters hindurchschritt, fühlte sie sich, als krabbelten Tausende Wanzen unter ihrer Kleidung. Orientierungslos blickte sie sich um – sie hatte sich eigentlich geschworen, diese Schule nie zu betreten, und den Lageplan, den man den Eltern jedes Jahr mit den Sprechstundenzeiten zukommen ließ, unbesehen weggeworfen. Vom Torwartlhof, den man von der Stadt kommend zuerst betrat, führten drei Tore zu den weiteren Trakten. Zwischen den Gabelungen des Schotterwegs sprossen Buchsbaumsträucher, die zu perfekten Kugeln geschnitten waren, was Ilses Unbehagen verstärkte. Diese Gewächse vertrugen die Höhenluft von St. Peter nicht und wurden dort oben niemals so dicht und voll wie hier im Klosterhof, sondern endeten auch bei den begabtesten Gärtnerinnen als krautige, drahtige Stauden, die kaum grünten.
»Suchen Sie was?«
Ilse klammerte sich an ihrer Handtasche fest. Mitzi Ammermann lehnte breitbeinig am Eingang zum Wirtschaftshof, wo die Klausur begann, und schüttelte lustlos einen Putzlappen aus.
»Den Pater Tobias, der was da a Lehrer is.«
Mitzi Ammermann verharrte unbewegt, das Sonnenlicht beleuchtete den Staub, der aus dem Putzfetzen rieselte. Ihre Augen wanderten an Ilse auf und ab. Ilse fühlte sich unwohl. Zum einen ärgerte sie sich, wie uneffizient diese Frau den Fetzen ausschüttelte, zum anderen war sie noch nie so gemustert worden und fühlte sich nackt. Ilse konnte nicht wissen, dass Mitzi Ammermann versuchte, sie einer Lenker Familie zuzuordnen und entsetzt darüber war, dass es ihr nicht gelang.
»Wissen’S jetzt, wo da Pater Tobias is, oder soll i allein suchn?«
Mitzi Ammermann deutete auf den Prälatenhof.
»Im Hof erste Tür auf der rechten Längsseite, in den zweiten Stock, bei acht Papstbildern vorbei bis zum Zimmer Nummer 17.«
Ohne sie nochmals anzusehen, stapfte Ilse davon und trat absichtlich laut in den Kies. Mitzi Ammermann sah ihr hinterher und wunderte sich. In der Welt der Putzfrau war ein harscher Ton Ausdruck von gutem Stand, aber sie vermochte Ilses Erscheinung mit keiner wichtigen Lenker Familie in Einklang zu bringen. Für Ilse hingegen war Mitzi Ammermann bis auf ihr Aussehen genau so, wie sie sich eine Talfrau vorstellte: faul, lustlos und unnötig arrogant.
Ilse verlief sich zweimal, fand jedoch bis vor Pater Tobias’ Tür und musste ein großes Knäuel Überwindung schlucken, bevor sie eintrat. Pater Tobias’ Büro war kleiner und bescheidener, als Ilse es sich vorgestellt hatte. Die Wände waren kahl, und hinter dem hölzernen Stuhl, auf dem er an seinem Schreibtisch saß, stand
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