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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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so verzichtete Johannes sogar darauf, sich zu Weihnachten ein Handy zu wünschen, wie es all seine Klassenkameraden taten.
    Im Digamma-Klub hatte jedes Mitglied einen Schutzheiligen, einen altgriechischen Autor, mit dem man sich besonders beschäftigte. Mauritz, ein grübelnder Schöngeist, las Bakchylides und versuchte, dessen Siegeslieder, soweit sie erhalten waren, zu verstehen und auswendig zu lernen. Er sehnte sich zurück in die Zeit der panhellenischen Spiele, wo die Sieger der Wettkämpfe mit prestigeträchtigen Liedern geehrt wurden, um deren Abfassung Chorlyriker konkurrierten. Ferdinand, der trotz seiner Körpergröße von nur 1,69 den längsten Atem hatte, wandte sich Homer zu, insbesondere der Ilias, dem großen Epos über den Trojanischen Krieg. Albert, der einen starken Sinn für Logik hatte, arbeitete sich an Aristoteles ab, dessen Art zu schlussfolgern dem ständig überlegenden Knaben sehr entgegenkam. Und Severin, der von allen mit dem stärksten Temperament gesegnet war, leicht in Wallungen geriet und emotional sehr aufbrausend sein konnte, beschäftigte sich mit Euripides, dem größten der Tragiker. Die vier waren sehr erstaunt, als ihr kleiner Protokollant von sich aus einen Schutzheiligen wählte, den sie sofort als überaus passende Wahl betrachteten. Johannes schlug vor, sich in den Dienst Herodots zu begeben. Diesen hatte er schließlich bereits mit Doktor Opa gelesen, und jeden Abend vor dem Schlafengehen, wenn er den 14,8 Meter langen Bandwurm aus Johannes Gerlitzens Darm über seinem Schreibtisch stehen sah, dachte er, Doktor Opa würde sich freuen, dass er so kluge Freunde gefunden hatte.
    Manche der Lehrer wie Schüler belächelten die neue Konstellation, neidische Klassenkameraden nannten ihn Digammas Rattenschwanz , doch Johannes kümmerte das nicht. Er hatte endlich Menschen gefunden, die ihm zuhörten und in dem ermutigten, was er tat. Es war der Digamma-Klub, der ihm beibrachte, dass die Forschung der Geisteswissenschaften den Naturwissenschaften um nichts nachstand. Obwohl Pater Jeremias jedes Mal, wenn er ihn traf, prophezeite: Das wird noch schiefgehen, mein Junge!, war Johannes so glücklich wie noch nie zuvor, denn anders als bei der Forschung mit Doktor Opa spürte er endlich seine Talente und Begabungen.
    Das Leben schien plötzlich in Ordnung, und Johannes musste sich bemühen, nicht ständig ein Lächeln auf den Lippen zu haben, denn der Digamma-Klub legte sehr viel Wert auf ernste Haltung. Doch er strahlte an jenem Frühsommertag kurz vor Schulschluss, als er mit Mauritz von Baumberg an der Bushaltestelle stand und sie sich über Herodot unterhielten.
    »Weißt du, Johannes, was Herodot in meinen Augen so auszeichnet, ist seine absolute Hingabe an die Forschung«, sagte Mauritz verträumt.
    Normalerweise war Johannes ein punktgenauer Mensch, der sich maximal eine halbe Minute vor Abfahrt des Busses nach St.   Peter am Busbahnhof einfand. Ein- bis zweimal im Monat jedoch ging er schon eher zur Haltestelle und wartete mit Vergnügen, und zwar wenn Mauritz mit ihm am Bussteig stand, um seinen Onkel zu besuchen, der das Jagdschlösschen der Familie bezogen hatte, das sich auf einem anderen Berg im Angertal befand.
    »Andere Geschichtsschreiber gehen trocken analytisch vor, aber Herodot brennt für die Völker, die er untersucht«, sinnierte Mauritz weiter, und Johannes wollte gerade antworten, dass er an Herodot schätze, dass dieser trotz seiner Hingabe immer ein sachlicher Forscher geblieben sei, da wurde ihr Gespräch von einem Ruf unterbrochen:
    »Bam Oida! Servas Johannes, des gibt’s jo net, dass i di da treff!«
    Johannes zuckte erschrocken zusammen, als er den St.-Petri-Dialekt außerhalb von St.   Peter vernahm. Als er sich umwandte, entdeckte er den Jungfußballer Peppi Gippel, der, im St.-Petri-Trainingsanzug, aus der Fußgängerzone auftauchte. Als wären Johannes und Peppi alte Freunde, steuerte der Fußballer auf Johannes zu und schlug in dessen Handfläche ein, ohne dass Johannes sie ihm entgegengestreckt hätte.
    »Kummst du vo da Schul? I hab mir grad neue Fuaßballschuh kauft. Magst sehn?«
    Und bevor Johannes abwinken konnte, hatte Peppi bereits seine Fußballschuhe ausgepackt und erklärte stolz, warum diese nicht aus Leder seien, sondern aus einem speziellen Plastik, das auch bei Weltraumanzügen verwendet werde. Johannes wusste nicht, was er sagen sollte – er genierte sich in Grund und Boden.
    »Und Johannes, spülst du eigentli Fuaßball in deiner

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