Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
die Putzfrauen ließen das Biologiekammerl wieder unbewacht. Der Digamma-Klub begann, unruhig zu werden, als durchsickerte, dass Luftinger den Griechisch-Unterricht zu einem Freifach degradieren und stattdessen Rechnungswesen sowie Wirtschaftskunde einführen wollte.
Kaum dass Luftinger seinen Plan öffentlich gemacht hatte, Latein zudem erst ab der Oberstufe im Stundenplan zu verankern, erklärte der Digamma-Klub Luftinger den Krieg und rief Johannes zu einer Notsitzung.
»Johannes, es ist nur zu deinem Besten«, sagte Mauritz, als ihm die vier ihren Entschluss verkündeten, dass er von nun an nicht mehr in den Klubraum kommen oder den Anstecker tragen dürfe.
Johannes fühlte sich wie von einem Laster überfahren und war so wütend, dass er den Digamma-Anstecker wortlos von seinem Revers nahm, auf die Tischplatte knallte und nach draußen ging. Er hatte so etwas geahnt, da sie sich schon seit Wochen von ihm abwandten, ihn nicht über geplante Lerntreffen informierten und stets etwas anderes zu tun hatten, wenn er sie auf dem Gang antraf. Sie versuchten ihm noch zu erklären, dass eine harte Zeit bevorstehe und sie gewisse Dinge tun müssten, die nicht unproblematisch seien und wahrscheinlich im Unheil enden würden. Sie wollten ihn nicht in Schwierigkeiten bringen, beteuerten sie, doch Johannes hörte schon nicht mehr zu. Er war so enttäuscht, dass sie ihm nicht genug vertrauten, um ihn in ihre Pläne einzuweihen, dass er am liebsten gar nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte. Er fühlte sich plötzlich nur noch wie der Protokollant, der nie verstanden hatte, dass er stets außerhalb des Zaunes gestanden und nur hineingesehen hatte, aber niemals dabei gewesen war.
Etwa drei Wochen lang führten die Mönche des Lenker Gymnasiums beim gemeinsamen Abendessen Grundsatzdiskussionen, ob Glücksspiel mit der katholischen Dogmatik vereinbar wäre. Danach füllten die Konventsbrüder jede Woche Lottoscheine aus und hofften, durch einen Sechser den Trägerverein verabschieden zu können und die Souveränität über die Schule zurückzuerlangen. In diesen Tagen wurde das Gebet zur heiligen Korona, der Schutzpatronin des Glücksspiels und für Geldangelegenheiten, sogar wichtiger als die Anbetung des heiligen Koloman. Pater Tobias war der erste der Mönche, den Luftinger aus der Schule drängte, indem er die anderen Mönchsbrüder erpresste, ihn besser in den Vatikan zu schicken, bevor Luftinger an den Vatikan meldete, wie viele Verehrerinnen Pater Tobias hatte. Luftinger hatte es sich zum Ziel gesetzt, alle Mönche aus dem Tagesgeschäft der Schule zu entfernen, aber mit lauteren Mitteln konnte er nicht vorgehen, denn auf dem Papier war die Schule nach wie vor Eigentum des Klosters, Luftinger war nur der Geschäftsführer. Pater Tobias wehrte sich mit Händen und Füßen, seinen Posten aufzugeben, doch einige der Mönche hatten immer schon gehofft, Pater Tobias würde eine vatikanische Karriere einschlagen, denn so charismatisch wie er war, traute man ihm sogar zu, nach gut 1000 Jahren der zweite Papst aus der Alpenrepublik zu werden. Als Johannes davon erfuhr, hatte er das Gefühl, seine Welt zerbröckelte ihm unter den Fingern.
Mit dem Frühjahr kamen nicht nur die zuvor vom Schnee bedeckten, heimlich gerauchten Zigaretten der Schüler im Schulhof zum Vorschein, sondern auch Widerstände gegen Luftinger. Es begann mit Flugzetteln, Plakaten und überall auffliegenden Informationsblättern.
SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER,
WEHRET EUCH!
Nur weil Ihr jung seid, müßt Ihr Euch nicht alles gefallen lassen. Habt Mut, zu kritisieren, was Ihr falsch findet. Sagt laut, was Euch stört. Ihr seid an diese Schule gekommen, weil Ihr klassische Bildung schätzt und Euch die Liberalität der Benediktinermönche Freiraum zur Entwicklung gibt. Laßt nicht zu, daß unsere Schule zu einem korrupten Exil für dumme Kinder wird, deren mit Luftinger verbündete Eltern ihnen den Abschluß bezahlen. Bewahren wir den guten Ruf unserer Schule!Kämpft dagegen, daß der Latein-, Griechisch- und Philosophie-Unterricht, der unsere Seelen bildet, von profanen Wirtschaftswissenschaften ersetzt wird, in denen das Herz nur verroht. Wehrt Euch gegen einen Direktor, der nicht an seine Schüler, sondern nur an seine eigenen Interessen und die seiner kriminellen Freunde denkt. Sofort!
Johannes fand eines dieser Flugblätter auf seiner Bank, als er eine Minute vor dem Läuten den letzten freien Platz in der Klasse einnahm. Nicht zum ersten Mal in dieser
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