Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
die Schüler eifrig nachkamen. Es dauerte nicht lange, da musste der Hausmeister die Tür zur Direktion aushebeln, da das Schlüsselloch mit Spachtelmasse ausgegossen worden war. Im Gang zum Festsaal, wo die Porträts aller Schuldirektoren hingen und Luftinger das seinige schon in der Woche nach seinem Antritt dazugehängt hatte, lagen Filzstifte aus mit der Aufforderung, das wahre Gesicht Luftingers zu enthüllen . Das Porträt selbst blieb unter seinem Schutzglas verschont, doch die Wände wurden zu einem Karikaturmuseum, das sogar Pater Jeremias das eine oder andere Lächeln entlocken konnte. Luftinger war der Einzige, der nicht verstand, dass der Digamma-Klub mit solchen Aktionen nicht unmittelbar zu tun hatte. Sie stachelten zwar die Schulrabauken an und motivierten amtsbekannte Randalierer mit Stadtpark-Vandalenkarriere, nahmen selbst jedoch keinen Edding, keine Tube Superkleber, keine Flasche Buttersäure, keinen Autolack, keine Wasserbomben und auch keine Brechstangen in die Hand. Sie waren sogar erstaunt, als sie auf dem Weg in die Schule eine Schülertraube rund um Luftingers Wagen stehen sahen. Der Wagen hatte, nachdem er die ganze Nacht auf dem Schulparkplatz geparkt gewesen war, da Luftinger seine Burschenschaftskollegen zu einer Weinkellerbesichtigung des Klosters geladen hatte, auf mysteriöse Art und Weise eine 180-Grad-Drehung geschafft. Nun parkte er auf dem Dach, Unterboden nach oben – wie ein Maikäfer, der auf dem Rücken lag und nicht mehr auf die Beine kam. Luftinger bebte vor Wut, doch erst nach dem Vorfall mit der Wand bestellte er Albert, Mauritz, Severin und Ferdinand für ein vierstündiges Verhör in sein Büro. Die unbekannten Widerstandskämpfer hatten Luftingers Büro bislang auf vielerlei Weise unzugänglich gemacht, eine Form der Blockade jedoch schrieb Geschichte und wurde bis weit ins Flachland zur Legende: die Rigipswand.
Bei Nacht in die Klosterschule zu gelangen, war keine besonders schwierige Aufgabe. Beliebt war, die alten Kellerfenster der Umkleidekabinen, die sich zur Straße hin auf Knöchelhöhe befanden, mit etwas Kaugummi im Rahmen so festzudrücken, dass sie zwar geschlossen aussahen, aber leicht zu öffnen waren. Es war jedoch eine logistische Meisterleistung gewesen, Ziegel, Mörtel, Rigipsplatten, Holzleisten, Metallwinkel, Schrauben, Spachtelmasse, Dämmstoff, eine Stichsäge, eine Bohrmaschine und Weiteres durch den Turnsaal in die Schule zu schmuggeln, um damit einen deckenhohen Erker vor Luftingers Büro aufzumauern, der links und rechts fest mit den Klosterschulmauern verschraubt war. Und als wäre dies nicht schon Provokation genug, hatten die Übeltäter zudem eine Tapete mit den besten Luftinger-Karikaturen anfertigen lassen und die frisch aufgezogene Wand damit tapeziert. Der Subprior war so beeindruckt von dieser handwerklichen Meisterleistung, dass ihm davorstehend nichts anderes einfiel, als einen Lobpreis auf den Schutzpatron der Handwerker zu beten.
Den Digamma-Klub zu verhören, war jedoch nutzlos. Natürlich bekannte sich niemand zu der Tat, und es half auch nichts, ihre Handflächen und Fingernägel zu prüfen – keiner hatte Blasen oder sonstige Zeugnisse handwerklicher Arbeit auf der Haut.
Nach dem Bericht von Mitzi Ammermann, dass sie Johannes volltrunken in einem schmierigen Beisl am Rande der Verzweiflung gesehen habe, wartete der Subprior zunächst ab, ob sich Johannes wieder beruhigen würde, doch als er mitbekam, dass Gernot Luftinger alle Schülerakten überprüfen ließ, um herauszufinden, welche Eltern Handwerksberufen nachgingen, beschloss der Klostervorsteher, den Knaben schützend unter seine Fittiche zu nehmen. Der Subprior war kein Pädagoge, und er kannte nur eine einzige Form der Unterstützung: Er verschenkte Schlüssel. Pater Tobias hatte er einst den Schlüssel für den Jaguar gegeben, dem Digamma-Klub jenen für einen leer stehenden Raum, und bei Johannes entschied er sich, ihm einen Schlüssel zur Klosterbibliothek auszuhändigen.
»Aber nicht verlieren!«, sagte der Subprior augenzwinkernd, als er einen Chubbschlüssel mit kleinen Zacken am Schlüsselbart und einem kunstvoll geschmiedeten, großen Griff in die Hände des Knaben legte. Das erste Mal seit einigen Wochen hatte Johannes einen Grund, fröhlich zu sein. Die Bibliothek war für ihn seit der Schulführung in der ersten Klasse einer der spannendsten Plätze der Welt. Sie befand sich im Osttrakt des Gebäudes und erstreckte sich über drei Stockwerke, wobei die
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