Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
hatte einen Besetzungswechsel der Mönche verursacht. Diejenigen jungen, die dort lebten, wußten nichts von dem Dorfe – die alten aber, die es einst gekannt, hatten es vergessen.
Kriegsvorbereitungen
Seit anderthalb Jahrzehnten hatten die Mönche des Benediktinerklosters in Lenk im Angertal um ihre finanzielle Eigenständigkeit gekämpft und an allen Ecken und Enden gespart, um die Schule selbst erhalten zu können. Sie hatten das Kloster den Touristen geöffnet, die Festsäle für Weihnachtsfeiern vermietet, und als das alles nicht genug gewesen war, hatten sie sogar Gästeräume eingerichtet, um ausgebrannte Manager zu beherbergen, die den Drang verspürten, durch Schweigen und Beten zur Besinnung zu finden. Pater Jeremias hatte alle diese Neuerungen mit den Worten »Das kann ja nur schiefgehen!« kommentiert.
Je älter Pater Jeremias wurde, desto bleicher wurde seine Haut, desto eingefallener seine Wangen und desto dramatischer wurden seine aus tiefen Höhlen herausstechenden Augen von den buschigen, wie bei einem Uhu in die Höhe ragenden Augenbrauen inszeniert – und letztendlich hatte er recht, denn im Sommer 2006 kapitulierten die Mönche vor ihrer Finanzlage und akzeptierten nach einem Blick auf die Kontoauszüge die Unterstützung des Trägervereins der katholischen Ordensschulen. Diese Übergabe der Schule an einen angeblich gemeinnützigen Verein ging mit der Pensionierung des Direktors einher, der ein reizender, aber nicht sonderlich durchsetzungsfähiger Mann gewesen war und den Mönchen stets ihren Willen gelassen hatte. Die Benediktiner hatten angestrengt versucht, einen passenden Ersatz zu finden, da sie ihr Mitspracherecht in Belangen der Schule nicht aufgeben wollten. Doch die Suche blieb erfolglos, und so war die Schule im Sommer 2006, als der Trägerverein die ersten Raten überwies, direktorenlos.
Johannes hatte mit Beginn des Schuljahrs 2006/2007 endlich die Oberstufe erreicht, während der Digamma-Klub in der achten Klasse das Maturajahr vor sich hatte, weswegen es bereits in den Sommermonaten tägliche Studiumstreffen gegeben hatte. Johannes hatte das sehr gefreut, denn erstmals hatte er auch im Sommer eine Möglichkeit gehabt, aus St. Peter am Anger zu entfliehen. Er hätte am liebsten in den Schlafräumen des ehemaligen Internats übernachtet, doch er musste morgens und abends Petzi füttern, der sich zum dicksten Kater von ganz St. Peter gefressen hatte, da er, anders als die Bauernhofkatzen, nicht auf die Mäusejagd angewiesen war. Im Winter war sein Bauch so dick, dass er damit den Boden aufwischen konnte, aber anstatt dass Ilse sich darüber freute, nicht mehr staubfegen zu müssen, kreischte sie stets, wenn sie den Kater sah:
»Pfui Teifl, des depperte Viech verteilt seine Läus überall auf meim Bodn!«
Da der Digamma-Klub auch im Sommer die Schule aufgesucht hatte, waren Mauritz, Severin, Albert, Ferdinand und Johannes die einzigen Schüler, die die großen Veränderungen mitbekommen hatten. Der Rest der Schüler wurde zu Beginn des Schuljahrs vor vollendete Tatsachen gestellt, als der Subprior bei der Schulanfangsgeneralversammlung anstelle des Direktors mit einem sehr angespannten Gesichtsausdruck ans Mikrofon trat. Bei Schönwetter wurde diese erste Versammlung aller Schüler nach den Ferien unter den wachsamen Augen der Statuen im Prälatenhof abgehalten. In Klassen geordnet saßen die Schüler in ihren dunkelblauen Uniformen auf schwarzen Klappstühlen, während unter den Schwingen des kopflosen, über die Gesetze der Statik erhabenen Engels das Rednerpult aufgebaut war.
»Ihr wisst, dass unser lieber Herr Direktor mit Ende des Schuljahres in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist«, erinnerte der Subprior zu Beginn seiner Rede das versammelte Schülerkollektiv. »Leider haben wir noch keinen Nachfolger, da das Kloster seit dem Sommer dankenswerterweise Unterstützung vom Trägerverein der katholischen Ordensschulen bekommt und wir unsere Unterstützer natürlich in die Entscheidung miteinbeziehen wollen.«
Der Subprior hatte Mühe, sachlich und freundlich zu bleiben, denn im Grunde gelüstete es ihn, über die Einmischung der Fremden zu schimpfen, aber einige der neuen Vorstandsmitglieder saßen in der ersten Reihe. Zum ersten Mal in der Geschichte der Lenker Benediktinerschule blickte man vom Rednerpult aus auf zwei Reihen Anzugträger anstelle der liebenswerten Tafelklässler. Johannes A. Irrwein saß mit seiner Klasse in der sechsten Reihe
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