Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Kulturbühne und nahm ein Gläschen Sekt entgegen: Mumm.
»Der soll wohl Mumm machen, was?«, schäkerte ich in Richtung Begrüßungsdame, die dann etwas blöd zurückgrunzte, aber vernieselte Sonntagmorgende erwecken in mir immer wieder diese Lust auf kreuzdumme und ganz abscheuliche Wortspiele. Ich trank in einem Zug leer und hob mich weit über den als Theke dienenden Tisch. »Bitte, Ma’am, mehr Mumm!«
»Das ist aber dann das letzte«, raunte sie, Künstlers Ehefrau wahrscheinlich und also für Haushalt und Kalkulation verantwortlich.
»Das ist sowieso das Letzte!«, wortspielte ich zurück. »Aber egal. Vollmachen, dalli!« Als sie gehorchte, lächelte ich charmant auf: »Bin doch selbst Künstler, wissen Sie …«
»Ach ja? Auch – Bilder und Objekte?«
»Jawohl. Bilder, Objekte, alles. Wenn Sie gestatten:« – grüßend nahm ich meine Pudelmütze ab – »Gsella. Öl, Pressspan, Alteisen.« Dann trat ich, trinkend, ins Caféinnere, tauschte mein erneut leeres Glas gegen ein volles und fragte mich, wer denn hier gestorben sei.
Die Krisis der modernen Kunst, ihr geradezu konstitutiver Nihilismus, wird oft zur Erklärung der Tatsache herangezogen, dass 99,7 Prozent unserer Künstler und -freunde Schwarze sind: schwarz die Schuhe, schwarz die Bux, schwarz das Hemd, Schal, Mantel, Hut, Brille, alles schwarz. Aber das hat mit Krisis nichts zu tun, sondern ich vermute, bei Schwarz kann man nichts falsch machen und sich außerdem erholen. Wer täglich mit allen Farben des Regenbogens hantiert, hat ja irgendwann die Faxen dicke; der weiß zudem auch, wie ekelhaft z. B. ein grüner Pulli auf orangefarbenem Hemd aussieht, und was läge da näher, als sich in der Freizeit flächendeckend in die deutlich unbunteste und kompatibelste aller Nichtfarben einzuwickeln, eben das Nachtschwarz.
Dies ging mir nach den ersten zwei Gläsern durch den Kopf. Nach den ersten zwei Gläsern war ich noch halbwegs beieinander.
Ich schluckte aber weiter drauflos an jenem Sonntagmorgen und sah mich um. Bis auf den Koch, der völlig weiß war: Schwarz. Ein Gruppenbild wie aus alten Fotoalben. Die linke Hand unter den angelegten rechten Oberarm gepresst, ein Gläschen in der rechten Hand, standen sie, Spielbein – Standbein, in Grüppchen vorm Œuvre H. Harrs und redeten über Kinder, Schnupfen und Urlaub. Ich schlenderte umher und soff. Über mal kantigen, mal kugeligen Ton- und Gipsprojekten mit Namen wie »Ohne Titel« oder »Ohne Titel« hingen unifarbene Rechtecke verschiedener Größe – und offenbar auch Haltbarkeit: Ein kleines blaues kostete 1800 Euro, ein gelbes hingegen, kaum größer, 2600.
»Ich k-kauf das! – Das da!«
Bis heute weiß ich nicht, wie es dazu kommen konnte. Zwar stimmt, dass ich zuzeiten, und verstärkt auch unter Alkoholbedingungen, einem recht derben Konsumismus huldige, doch entspricht es nicht meiner Art, einen kompletten Quartalssold für viereckige Negermythen herzugeben. Aber sei’s drum: Kaum war mein Aufruf gefallen, wandten sie sich zu mir hin, die Gespräche verstummten, einen Kauf schien hier niemand erwartet zu haben; retrospektiv möchte ich behaupten, dass sogar die Jazzband in ihren Standards einhielt. Es wurde, mit anderen Worten, sehr sehr still im Raum.
Ich stand da, ein fiebriges Gefühl in den Augen, und wusste nichts anderes, als mit der linken Hand nachzukippen und mit der rechten starr auf das gelbe Rechteck zu zeigen.
»Das da, jawohl. Bitte p-packen Sie’s ein. Und das blaue daneben gleich mit! Macht vier vier, na prima. Überhaupt kein Problem.«
Mir wurde schlecht. Aber gerade alptraumhafte Situationen sind ja oft sehr stabil. Trotzdem verbiss ich mich in die Hoffnung, es sei hier gar nichts wahr und ich zu Hause oder vielleicht auch in Italien, und sog stramm am Sekt.
Da kam etwas auf mich zu, ergriff meine Hand und schüttelte sie. »Harr. Guten Tag.« Aha, der K-Künstler! Ich sah von ihm nur Mund und Ohren.
»Meine Bilder gefallen Ihnen?«
»Se-sehr …«, stammelte ich. »Sie haben so was … hihi … Farbiges … Viereckiges …«
»Nicht wahr?« Sein Mund sah mir in die Augen. Ihn umzuckte Weltweh, das gefiel mir. »Meinen Bildern eignet auch durchaus Freches, geradezu Vierschrötiges. Ich liebe diese Bilder.«
»I-ich auch. Und eignet ihnen«, fragte ich immer zugetaner, betäubter, »nicht auch etwas Furioses und nachgerade V-Vierhändiges …?«
»Wie wahr, Freund, wie wahr!« Mit einem Ruck zog Harr mich ganz nah an das blaue Bild heran.
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