Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
Vom Netzwerk:
»Schauen Sie nur hin! Dieses Blau: Ist es nicht warm und doch kalt? Hell und doch dunkel? Eros und Thanatos? Freude und Leid?«
    »Himmel und Hö-Hölle! Prost!« Eine stürmische Dreifaltigkeit aus Sympathie, messerscharfem Kunstverstand und Alkohol fegte mich hinweg: »Krieg und F-Frieden! Auf- und Abrüstung! Sekt oder Selters!«
    »Vorschau und Hauptfilm!« Harr schrie jetzt, und er war mir so nah. »Hund und Katze! Ehe und Familie! Gott und die Welt!« Er fiel mir in die Arme.
    »Nadel und Faden!« Ich begann zu weinen. »Hä-Hänsel und Gretel! HSV oder Bayern!« Als Harr unter mir wegsackte, fiel mein Blick auf das zweite Bild. »Und er-erst dieses Gelb! Harr! Aufschwung und Krise! Adel und Klerus! Kartoffeln mit Nudeln! Heinrich der Achte!«
    Harr war zusammengebrochen. Er wand sich am Boden, schluchzend und keuchend: »Aufzucht und Pflege … Mama und Papa …«
    »Hase und Igel! M-Mensch, Harr …« Bei diesen Worten sackte ich ab und auf ihn drauf. »Ich kaufe alles, Harr. A-Alles!«
    Ich spürte noch, wie Harr mich brüsk wegstieß, dann – nur noch Schwarz …
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich, grad unterhalb des gelben Œuvres, auf einem Tisch. Das Café war fast leer. Nur die Begrüßungsdame huschte, Sektgläser sammelnd, durch die Bestuhlung.
    »Wo ist Harr?«, fragte ich.
    Sie antwortete, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Sie sollten ihn vergessen. Er verkauft Ihnen nichts. Mit Hase und Igel, sagt er, haben seine Bilder nichts zu tun.«
    »Hm.« Ich brummte. Aber hatte Harr nicht recht? Wortlos schleppte ich mich aus dem Café, trat draußen noch gegen eine Cola-Büchse und ging schlafen.

AUS DEM NOTIZBLOCK IV
    Es muss nicht immer ein Fest sein
    »Prost«, sagte Ursula und stieß ihr Pinnchen gegen meines. Auch ich sagte Prost; in einem Zug genossen wir die tiefrote Wacholderbeere, den ersten Alkohol des Tages, ein feines, handaufgesetztes Tröpfchen aus der Hobbywerkstatt meines Onkels. Dann traten wir ans Hinterhoffenster und hörten erste Böller explodieren. Ich legte einen Arm um sie, leise knackte das Babyphon.
    »So ist es doch auch ganz gemütlich«, sagte ich und küsste ihre Nase, »es muss nicht immer ein Fest sein.«
    »Noch drei Minuten«, sagte sie, dann rannte sie ins Badezimmer, kotzte sich die Eingeweide heraus und kehrte zurück.
    »Was war denn?«, fragte ich, rannte ins Badezimmer und kotzte mir die Eingeweide heraus. Als ich zurückkehrte, stand Ursula am Spülbecken und kippte etwas in den Abfluss. Es war die Wacholderbeere. Wir beobachteten gemeinsam, wie ein Faulpilz herauskroch, ein etwa handgroßer in den Farben Grün, Tiefbraun und Umbra, stabil wie ein Wollsocken. Wir rannten ins Badezimmer und kotzten erneut. Dann war Neujahr. Es gab Magentee mit Knäckebrot.
    Ouvertüre
    Frage: Zigarettenschachtel, Bierflasche, Chips- und Grastüte – was ist das eigentlich für ein Gott, der all das zulässt? Ich aber sage euch: Wahrlich, das ist gar kein Gott, das bin ich. Ich lasse all das zu. Noch. Nun aber sehet her und verfolget in Demut, wie ich all das aufreiße und in meine Öffnungen stopfe, prost!

IM VISIER DER SCHNÜFFELSCHWEINE
    Ich weiß nicht, an welchem Tag ich es zum ersten Male tat und dann wohl immer wieder. Ich weiß nicht, ob man es zwanghaft nennen muss oder nur gewöhnlich triebverfallen, ich weiß nicht, ob ich während all dieser Wochen und Monate und Jahre ein besserer Mensch gewesen wäre, hätte ich es nicht getan, wieder und wieder, morgens gegen zehn und abends gegen sieben, zweieinhalb Jahre lang an jedem Werktag zwischen Oktober 2005 und dem 6. Juni 2008 – jenem Tag, da ein Mitarbeiter der Frankfurter Bahnhofsbuch- und Pressehandlung Schmitt & Hahn mir in einem Anfall von Umnebelung und Raserei gestand, es täglich getan zu haben: in vollster Absicht und unter Missbrauch perfidester Technik mich beschnüffelt und gefilmt zu haben, wieder und wieder, morgens gegen zehn und abends gegen sieben, zweieinhalb Jahre lang an jedem Werktag zwischen Oktober 2005 und dem 6. Juni 2008, jenem Tag, da der Mitarbeiter mich plötzlich am Oberarm würgte und ein Geschrei losließ, wie ich es lauter und eines Buchhändlers unwürdiger kaum je vernommen hatte:
    »Aaahhh! Da haben wir Sie ja endlich! Endlich haben wir Sie! Warum haben Sie das getan? Sind Sie verrückt? Was glauben Sie, was das für eine gottverdammte Lauferei war, das Zeug andauernd zurückzulegen? Zu sortieren, hah? Sie haben Hausverbot! Raus hier! Wir wollen Sie hier nie wieder

Weitere Kostenlose Bücher