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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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Stoiber ihn, Markus Söder, den damals sechsunddreißigjährigen Juristen und Vater dreier Kinder, zum Generalsekretär der CSU , zu seinem Liebsten und Thronerben mithin. Sogar Stoibers Entmachtung überlebt Söder und wird 2008 Bayerischer Staatsminister für Umwelt und Gesundheit im Kabinett Seehofer.
    Kurz: Der Blödmann ist am Ende. Doch wie in allen riskanteren Vitae gab’s auch hier, eine quasimagische Sekunde lang, die Option auf Umkehr und gelingendes, ja würdiges Leben: nämlich jüngst, während eines Zeltlagers der christsozialen Pfadfinderjugend »Nürnberger Luchse«. Stargast: Ex-Mitglied M. Söder himself.
    Arktisch pfiff der Wind in den Spalt zwischen Mantelärmel und Handschuh, wehte durch Wollpulli, Ober- und Unterhemd, um sich in eiskalten Wellen über die nackte und augenblicks schaudernde Haut zu ergießen – so schauerlich und überwältigend fror Erwin Hupplmoser (17), dass ihm melancholisch wurde und er gar wieder anfing, Fingernägel zu kauen.
    19.43 zeigte seine Uhr; eine freudlose, eine schreckliche Dreiviertelstunde würde noch vergehen, bis
Hauptfähnrich Schorschl endlich den Grill anschmiss. Bis dahin: starr auf der Wolldecke sitzen, den Zeltkreis im Rücken, die Sterne im Nacken, einatmen, ausatmen, hier und da ein Joke mit den verpickelten Luchsen, der Rest hieß schnattern, frieren, leiden. Offenes Feuer war im Hummelsteiner Park halt verboten; zu direkt ging das zwei Fußballfelder große Spaziergrün über in bewohntes und vielbefahrenes Gebiet, dessen Rauschen und Hupen die Ohren der Jungschar ungemindert erreichten. Bäume, die den Schall hätten fangen können, gab es nicht mehr, sie waren vor Jahren sämtlich gefällt worden, um den im Park postierten Überwachungskameras einen besseren Blick auf rauchende und küssende Jugendgangs zu gewähren. So war nichts geblieben als ebene Wiese, gefroren unterm dröhnenden Polarwind Winternürnbergs.
    »Echt Wahnsinn, dass der Herr Doktor Söder uns heute Abend beehrt«, flüsterte Seppl Hammermas (14) und rieb mit seinen Handschuhen die angezogenen Knie. »So eine Chance kriegen wir nie wieder.«
    Stumm nickend hauchte Alois »Akne« Gruber weiße Luft zum vollen Mond, dann grinste er gemein: »Übrigens! Ich werd ihn fragen, wie es die Menschen hinterm Eisernen Vorhang eigentlich mental – ausgehalten haben.«
    »Zwei Fleißkärtchen, Arschloch.« Aus Kältegram hatte Hauptfähnrich Schorschl begonnen, die Grillkohlen nach Gewicht zu sortieren. »Kreisvorsitzender wirst du trotzdem nicht.«
    »Nicht und niemals, Pickelpisser.« Noch war Oliver Baumgarten (11) vorm Stimmbruch, wurde von allen nur »Mädchen«
genannt, was im lutherischen Pfarrerssohn eine gewisse Dauergereiztheit implantiert hatte. »Meine Fragen werden ihm viel besser gefallen!« Fleißig griff er nach einem flanierenden Käfer, hieß ihn »böser Wolf« und fraß ihn glücklich; zuweilen war er, Mädchen, wahrlich noch ganz Kind und eingesponnen ins Grimmsche Universum –
    »Pscht!«, machte nun der Hammermas Seppl. »Ruhe im Schützengraben! Da kommt jemand.«
    Pfeilschnell war Mädchen im Stand und griff nach seinem Fahrtenmesser. »Parole!«
    »Zickezacke, Hühnerkacke, heuheuheu! Ich bin’s, Jungs, steht entspannt.«
    Wie von der Tarantel gebissen sprangen die Pfadfinder auf.
    Immer enger hatte sich der nächtliche Citywiesenkreis um den mau wärmenden Grill geschlossen, und Schorschl machte seine Sache gut. Wie ein alter Hase garte er Bratwürste und Schweinelappen, Tomaten- und Curryketchup taten das Ihre, und weil Markus Söder gleich nach der neunstrophigen Begrüßungsweise »Unser Oma fährt im Hühnerstall Motorrad!« zu seiner elfhunderter Yamaha zurückgesprintet war, um drei Kästen Märzen vom Gepäckträger zu fingern, war das dankbare Raunen und Staunen schon anfangs perfekt gewesen. Mit leuchtenden Hälsen und Augen mampften und hingen die Gemeinwohlkids in spe an den Lippen des, sie konnten es ja immer noch nicht fassen, nach Stoiber weltweit besten Mannes überhaupt. Hingen anfangs jedenfalls; in einem Äther aus Respekt und Prüfungskoller setzten sie dann Halbliterflaschen an den Hals wie nie zuvor in ihrem kleinen unterdrückten Leben.
    Still lag derweil die Stadt. Vom wolkenlosen Himmel frostete todernst der Mond, ein letzter Uhu kauzte vorlaut zum Beginn der langersehnten Fragestunde.
    Nun also ging’s um die Parteikarriere. Drei Boddel hatte Mooshammer junior inzwischen intus, das musste reichen: »Söder, oller Motherfucker,

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