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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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im Eimer und Cordt-Urs von Thedel einfach mit dem Auto weggefahren.
    Ein Desaster? Tapeten-Ölms wehrt ab. Seine Bilanz, gezogen vor Reportern der Westfalenstimme : »Es war ein Schock für uns alle. So kann es weitergehen!«

    Der Anruf
    Wie seltsam lautlos die Welt, dachte der Wortkünstler so dahin und lauschte dann gleichwohl bewusster. Eine Tätigkeit an diesem Morgen, da kein Wind ging, nur ein feiner Nieselregen, der zu fallen sich kaum recht entscheiden konnte, so leicht war er, so tanzend. Nach Stunden um Stunden, sieben Stunden oder zwei, es war gewiss am selben Tag, ein Sonntag musste es sein, dachte er, daher wohl die milchgläserne Ruhe, der Anruf.
    »Kommter zum Kaffe?«
    Mutter.
    »Onkel Willi is ooch da!«
    Wer jener Onkel Willi sei, fragte, nach einer Phase der Sammlung, der Künstler und erschaute, wie auf einem Sims sich eine Taube niederließ und verharrte, bevor sie den Schnabel in rückwärtigen Federn vergrub. Parasitenbefall, dachte er und erwog gar, es flüsternd zu formulieren, ist schlimm, doch bin ich frei davon, ein Privileg der westlichen Ober- und Mittelschichten …
    »Na jetzt abber ehrlich!«
    Mutter.
    »Von dich der Patenonkel. Also halb pfümpf! Und bringt eure Töchterken mit, kann Onkel Willi auch ma sehn.«
    Als der Tag versank, fuhr man im Van durch den Regen, erste Schneeflocken stoben ins Licht. Drei Straßen entfernt wohnte Mutter, unterwegs kam’s zum Streit, einem notwendig kurzen, es hatte die Freundin, nach Ansicht des Künstlers, die Tochter erneut zu kühl angekleidet, ein stetes disputens der beiden. Die schnarrende Hausklingel warf ihn zurück in die Kindheit, die Jugend, die Hölle von Testbild und Philips-Recorder.
    »Na hömma, hömma, wo bleibt ihr den einklich?«
    Mutter.
    »Jetz abber fix reinspazzeriert inne Bude!«
    Es roch nach billigem Bienenstich.
    »Mensch, Onkel Willi, Tachchen!«, rief der Künstler. »Wie geht dich, Older? Höi, gout? Na denn man tau, nöch, oller Pate, der de bis!«
    Noch einmal las der Künstler den Text, dann vergrub er das Gesicht in den Händen. Nein, dachte er, noch war der Beginn seines Romans über die unglaublich bescheidenen Wurzeln eines Literaturnobelpreisträgers nicht gefunden; dann der Anruf:
    Mutter.
    »Nur der Vorsicht halber: Die Habermasens kommen morgen zum Brunch. Bitte platzt nicht wieder hinein. Du weißt, wie sehr Vater sich deiner schämt.«
    Okay, dachte der Künstler, schon gut, schon gut.
    Der Tag war sowieso gelaufen.

TÖTENSES AM ABGRUND
    Nach beruflich bedingten Aufenthalten zunächst in Osnabrück, späterhin Kiel und Mainz war Eddy Tötenses zum Ende des vergangenen Jahres ins sogenannte Revier, in die europäische Kulturteilhauptstadt Duisburg heimgekehrt und gleich ums Ganze ärmer und trostbedürftiger geworden. Recht eigentlich ging alles schief. Weder gelang es dem nun freien Werbegrafiker, seinen alten Kunden aus dem Norden bzw. hohen Süden Deutschlands irgend Aufträge abzubitten, noch schien es seiner neuen/alten Wohnstatt und Industrieruine im Entferntesten zu schimmern, wozu PR wohl gut sein mochte – Telefon wie Handy standen still und fraßen Geld, das Tötenses doch immer spärlicher verdiente.
    Pikanterweise waren vor drei Monaten auch überraschend Fünflinge erschienen, Joy, Jangis, Jay, John und Janette; auf Ultraschallbilder hatten er und seine Frau Janet mehr aus allgemeiner Depression denn Antimodernismus verzichtet und den Salat nun definitiv am Hals. Zwischen zwanzig und dreißig Windeln täglich schiss und pinkelte, so eruierte Tötenses noch innerhalb der ersten Woche, das Quintett in den Müll und hätte es wohl weiterhin getan, hätte nicht ein Machtwort seinerseits die Tagesobergrenze zunächst bei elf, schlussendlich sieben festgezurrt. Proteste seiner Partnerin, die sich gezwungen sah, zumindest die nur vollgepinkelten Windeln aufzufönen und derart zu recyclen, ließen Tötenses so kalt wie ihre periodische Drohung, das Jugendamt zu verständigen oder wahlweise eine Schachtel Aspirin zu schlucken – Eddy wusste seine Gattin für all dies zu schwach, zu lebensbejahend und machte sich keine größeren Sorgen, zumal ihm vor drei Wochen ein brillanter Coup gelungen war: Im Austausch gegen sein Versprechen, die paarinterne Windelregelung gegenüber den Bewohnern ihrer Achtzehn-Parteien-Mietskaserne zu verschweigen, bekam Tötenses für zweieinhalb Stunden täglich fünflingsfrei. Zwischen eins und halb vier mittags hockte nun der Grafiker in der weit und breit

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