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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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einzigen Gaststätte seines Viertels, im kargen und auch bitter bodenkalten, aber notgedrungen gutbesuchten »Marios’s Eis Caffè«.
    Wie blitzschnell er gesunken war und fürderhin sank, verschwamm vor Tötenses’ Augen aus Gründen des Selbstschutzes zwar zusehends. Allein bei der Cafélektüre der regional millionenfach auftrumpfenden Westdeutschen Allgemeinen Zeitung schwante ihm mitunter, wie kilometertief er in der Scheiße saß. Bis etwa vor Halbjahresfrist hatte er, das einstmalige Duisburger AStA-Mitglied, die Frankfurter Rundschau abonniert und dumpf einverstanden überflogen; in der WAZ aber hagelte es massenweise Havarien wie »Bundeskanzlerin Merkel erklärte den Journalisten bereitwillig Auskunft« oder »›Wir hatten einfach einen schlechten Tag‹, warf Hoeneß die an diesen Tage zu Tage tretende Qualität des Bayernspiels sarkastisch in die ›Bresche‹«. Das sogenannte Revier und ich, dachte Tötenses und züngelte am dritten Stern-Export, sind wahrlich ein eins a Schrotthaufen, als, es war am letzten Donnerstag im Mai, das Duo den Laden betrat.
    Sie war Mitte dreißig und der zweitdümmste Mensch Europas, aber das wusste Tötenses noch nicht. Tötenses registrierte einen grotesk übergroßen Mund, einen vollkommenen Schnabel, der allzeit brüllend offen stand und mit seinen kirschrot gefärbten Lippen aussah wie ein ovaler Fun-Mülleimer.
    »Buäähhh!«
    »Nee, Üschken, Appelschorle kriegste nich! Hier is dein Fläschken! Und die Jacke lässte an, kapiert! Verdammter Scheiß, getz hör ma mit dat Schreien auf! Üschken, getz is abber Schluss! Hallo! ’n Pils bitte, ja. Nee, Kuchen kriegste auch nich! Setz dich endlich auf dem Stuhl da!«
    »Ähhh! Buuäähh!«, schrie ihr wohl zweijähriges und naturgemäß noch blöderes Balg, schrie und kläffte im Verein mit dieser archetypischen Reviermutter in einem fort auf Tötenses hin und um ihn herum, bis um Punkt halb vier Uhr sein Handywecker klingelte, den Schluss der Babypause anzuzeigen. Gehorsam legte Tötenses sechs Euro auf den Tisch und erhob sich.
    »Üschken, sag den Onkel tschüssi!«
    »Buäähhh!!«
    An Schicksal mochte Tötenses so wenig glauben wie an Zufall, er glaubte, wünschte und erhoffte gar nichts mehr. Fakt war einerseits, dass Üschken und seine Mutter ihm fortan entgegenlärmten, wenn er das Café betrat, und schreiend blieben, bis er ging; dass andererseits eine Verlegung der Babypause völlig ausschied, da Ehefrau Janet neuerdings den kompletten Morgen für Wurst- und Fleischwurfsendungen des lokalen Supermarkts Modell stand oder, auf einem in die heimische Diele plazierten Übungslaufsteg, die berufsübliche Mimik und Grazie probte. Ihr kaum entlohnter Job brachte Geld, auf das die Familie angewiesen war; und sparte gar noch welches, weil Janet sich innerhalb von drei Monaten von knapp hundertzwanzig auf von Edeka geforderte siebzig Pfund herunterhungerte.
    Derweilen ward das Babypausenduo immer lauter, dümmer und, je öfter Tötenses es leidend ansah, hässlicher. Andere Kleidung als das tägliche Kostüm aus schwarzem Kunstspeckledermantelsack und fransigen Bluejeans schien die Fettlanghaarige so wenig zu besitzen wie die Tochter, die jede kindliche Charmepotenz mit Füßen trat und dank abgefressenem Kurzhaarschädel und bizarr übergroßen Ohren samt muttergleich strumpfdummer Augen- und Gesichtspartie empörend war, ästhetisch und auch quasi sexuell schon jetzt empörend überflüssig –
    freilich und der Wahrheit wegen: Tötenses genoss es. Genoss die exklusive Hässlichkeit und krawalleske Dummheit des Gespanns als hochverdientes Spiegelbild der eigenen Glücks- und Hoffnungsferne. »Ich Arschloch hab’s exakt verdient«, dachte trinkend Tötenses und registrierte froh, wie ein Gläschen Magensäure blasig hochstieg und am Zäpfchen kitzelte, »meine Existenz ist eh vernichtet!« Überhaupt wurden die zwei Pestweiber ihm zuzeiten beinah lieb, heilig, Gratisvorlage einer sensuellen Dauerselbstauspeitschung, gerechte Strafe, dachte Tötenses, für die Fünflinge, seinen Rückzug ins strukturgewandelte und umso strahlender verfaulende Revier als solches.
    Eines allerdings kroch Tötenses immer stärker ins Bewusstsein, ließ ihn anfangs linde kribbeln und alsbald in Planung übergehen: So sicher nämlich das dank purster Blödheit und de bilia santa überwibbelige Gör durchs Café wibbelte und von der Muttersau permanent daran gehindert werden musste, blind blökend auf die Straße zu eiern, so sicher

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