Blau wie Schokolade
aber immer noch nicht wieder zur Flasche gegriffen, was eine beachtliche Leistung war. Ich sah alles entschieden klarer, wenn ich keinen Tequila im Blut hatte.
In den vergangenen Wochen hatte ich Reden geschrieben, Jays Terminkalender gemanagt, die Mitarbeiter beruhigt, mich mit der Presse herumgeschlagen, hatte Jay zu unzähligen nervtötenden Abendessen und zu einigen Debatten begleitet, wo Jay seinen Konkurrenten in Grund und Boden argumentierte, hatte Menschen die Hand geschüttelt, von denen ich wusste, dass ich sie vier Minuten später nicht mehr erkennen würde, und hatte mich mehrmals bis aufs Blut mit dem mürrischen Damon gestritten – der mich einmal dazu zwang, ihm ins Gesicht zu sagen, was für ein großes Schwein er sei, und er war nicht gerade begeistert von meinem Urteil über ihn.
Er beobachtete mich unablässig.
Ich war hundemüde. Selbst meine Zähne hatten keine Kraft mehr.
Und doch war ich immer überglücklich, mit Jay und Charlie allein in einem Raum zu sein.
Ich grinste den Gouverneur an. Er hatte mir bereits eine Abfuhr erteilt, schlimmer konnte es also nicht werden, oder?
»Heute ist die große Party am anderen Ufer. Ich weiß, dass du solche Sachen nicht magst, aber die Veranstaltung wird von einer großen Wählerinnengruppe gesponsert. Ohne die Stimmen der Wählerinnen können wir diese Wahl nicht gewinnen«, erklärte Charlie.
Jay nickte. Ich wusste, dass er sich im Griff haben und alle von den Stühlen reißen würde, wie immer, dennoch fand ich, dass er ausgelaugt wirkte. Am liebsten hätte ich ihn in die Arme genommen und ihm einen Kuss auf die Sorgenfalten gedrückt.
»Und wenn Sie dann nach Hause kommen«, spöttelte ich und beugte mich ein wenig vor, »können Sie die achthundert Leute anrufen, die diese Woche mit Ihnen sprechen wollten, anschließend die Rede für Dienstagabend durchgehen, die ich geschrieben habe, die Punkte auflisten, die ich in die Ansprache beim Frühstück des Rotary Clubs aufnehmen soll, sich auf die Besprechung mit dem Stadtrat vorbereiten und nebenbei weiterhin den Staat Oregon regieren. Ach, habe ich die drohenden Krisen im Gesundheitswesen, dem Bildungswesen und der Fischereiindustrie erwähnt, die angegangen werden müssen?«
»Haben Sie. Ich weiß, das Ganze schlaucht unheimlich. Danke euch beiden für alles, was ihr getan habt. Ihr beide seid«, Jay hielt inne, »mehr, als ich verdient habe.«
»Ach, Quatsch«, sagte Charlie. »Jeanne ist mehr, als du verdient hast, ich nicht.«
Für einen Sekundenbruchteil ruhte Jays Blick auf meinem schwarzen Spitzen- BH .
»Es sind nur noch sechs Wochen. Dann ist Schluss«, sagte Jay. »Dann ist es vorbei. Dann sind wir fertig.« Seine blauen Schokoladenaugen blickten in meine.
Ich hatte das Gefühl, als hätte ich einen Schlag in die Magengrube bekommen. Ich hatte sehr wohl verstanden, was Jay damit sagen wollte.
Dann sind wir fertig.
Schnell senkte ich den Blick auf den hölzernen Konferenztisch und untersuchte die feine Maserung, damit Jay nicht die Erschütterung in meinem Gesicht sah.
Ich ging davon aus, dass er gewinnen würde. In den Umfragen lag er vorn, kluge Ausschnitte seiner (von mir verfassten) Reden wurden in den Zeitungen gedruckt, und wo er auftrat, hatte er ein großes Publikum. Es mochte knapp werden – Oregon hatte viele konservative Wähler –, aber dennoch würde er gewinnen.
Und das wäre es dann gewesen. Dann wäre ich arbeitslos. Kein Geld in der Tasche, aber einen Prozess am Hals. Am schlimmsten wäre, dass ich Jay nicht mehr sehen würde. Es gäbe keinen Grund mehr, ihn zu treffen, mit ihm zu sprechen, ihn anzurufen, mit ihm zu lachen.
Dann sind wir fertig.
»Du brauchst mal eine Pause«, sagte Charlie zu Jay. »Warum fährst du am Wochenende nicht mal raus zu deinem Haus in Weltana? Nimm dir mal ein bisschen Zeit und …« Charlie setzte sich auf und schnippte mit den Fingern. »Hey, Jeanne hat mich mit Deidre und den Kindern am Samstagabend zu sich eingeladen. Sie ist letzte Woche eingezogen, wir wollen uns das Haus unbedingt ansehen. Komm doch auch hin!«
Meine Kinnlade fiel herunter. Ich bekam den Mund nicht wieder zu. Hatte Charlie gerade Jay zum Essen eingeladen? In mein Haus? Hatte ich das richtig mitbekommen?
Ich schaute Jay an, wohl wissend, dass ich dumm aussah mit dem offenen Mund.
Jays Mundwinkel zogen sich nach oben. Mein Gott, war dieser Mann umwerfend! Selbst wenn er müde und erschöpft war.
»Ich kann mich doch nicht so aufdrängen«, sagte er,
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