Blau wie Schokolade
ohne es wirklich zu meinen. Seine tiefe Stimme liebkoste mein Ohr.
Ich hätte gerne etwas gesagt, bekam den Mund aber einfach nicht zu.
»Du drängst dich nicht auf«, sagte Charlie und trat unter dem Tisch nach mir.
»Jeanne hat bestimmt schon genug Gäste eingeladen.« Jay klopfte mit dem Stift auf den Tisch.
»Nein, hat sie nicht«, sagte Charlie. »Nur wir sind da. Und du.«
Jay nickte. »Ein ruhiges Wochenende in Weltana wäre sehr verlockend.«
»O Gott, wollen Sie wirklich zum Essen zu mir kommen?«, hörte ich mich sagen. Meine Stimme klang schockiert und ungläubig. Das konnte er doch nicht ernst meinen!
Tat er aber. Jay nickte. »Ja, klar.«
»Echt?« Und was war mit der Schlägerei?
»Ja, sicher.«
»Aber warum?« Das war eine dumme Frage, aber da mein Mund so lange offen gestanden hatte, war er noch nicht wieder richtig ans Sprechen gewöhnt.
Jay lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte mich. Ein Kribbeln breitete sich über meinen gesamten Körper aus, von oben nach unten. »Ich würde mir gerne Ihr Haus ansehen.«
»Warum?« Zum Teufel mit meinem Mund!
»Ich würde es gerne sehen, weil Sie uns immer so viel von den Renovierungsarbeiten erzählt haben. Vielleicht gehe ich auch joggen, wenn ich schon mal da bin. Nachts. Joggen Sie auch gerne nachts?«
»Sehr witzig«, sagte ich, und meine Kehle zog sich zu.
»Dann ist das abgemacht«, sagte Charlie, der die Anspielung auf das nächtliche Joggen natürlich nicht verstand. »Wir kommen so gegen sechs, Jeanne. Deidre und die Kinder freuen sich schon so! Wir bringen Nachtisch mit.«
Und damit stand er auf und ging, schloss die Konferenzraumtür hinter sich. Meinem Blick wich er geflissentlich aus.
Und da saß ich nun. An einem Tisch, von dem ich mir wünschte, dass er sich in ein Bett verwandelte, damit Jay und ich uns ein bisschen besser kennenlernen könnten.
»Du lieber Gott! Sie kommen zum Essen?«, quietschte mein Mund wie von selbst. »Zu mir?«
»Ja.« Und wieder musste Jay grinsen. »Ich freue mich sogar mehr darauf, als Sie sich vorstellen können.«
»Hm. Ahm. Öh.« Ich dachte an mein Haus. Ich hatte keine Möbel. Die Kisten waren nicht ausgepackt. Therese hatte die tollen Vorhänge angebracht. Die Wandfarben – Kaffee- und Cremetöne, Schokoladenbraun, Sonnengold und Blau – verliehen den Räumen eine Fröhlichkeit, doch waren sie leer und langweilig wie Höhlen. »Du lieber Gott«, hörte ich mich wieder sagen. »Hm. Ahm. Öh.«
Jay lachte. »Ich weiß ja nicht, warum Sie mich immer mit Gott verwechseln, Jeanne, aber ich verstehe das jetzt mal als Kompliment. Bis Samstag dann! Ich bringe den Wein mit.« Damit stand er auf und ging.
Einfach so.
Du lieber Gott!
Die nächsten vier Tage gingen völlig in Arbeit unter. Mein Hirn arbeitete unter Dauerbeschuss, da ich wegen der letzten Wahlkampfwochen ständig Kontakt mit Jay hatte. Ich wollte, dass er gewann. Um dieses Ziel zu erreichen, war ich auf meiner ganz eigenen Mission.
Und wenn er gewonnen hätte, wäre es meine Mission, das Radio und den Fernseher auszuschalten und keine Zeitung mehr zu lesen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, Jay zu sehen und zu hören und dabei zu wissen, dass ich diesen Mann niemals in die Arme nehmen und ihm sagen könnte, dass seine Augen für mich wie blaue Schokolade waren. Ich würde zur Einsiedlerin werden. Eine Einsiedlerin, die sich erst wieder nach der Außenwelt erkundigen würde, wenn Jay Kendalls Amtszeit vorbei wäre.
Denn es würde einfach zu sehr weh tun.
Am Freitagabend joggte ich lange am Fluss entlang, lief, bis ich die Füße nicht mehr spürte, und humpelte zurück zu meinem neuen Haus, in dem einige Lichter brannten. Eine Weile betrachtete ich mein gelbes Haus mit den blauen Fensterläden, dem neuen Dach, mit den robusten Balkonen oben und unten.
Ich liebte es. Es war klein und hübsch, es war altmodisch und neu zugleich, es hatte mich ein Vermögen gekostet, aber es war perfekt.
Fünf Minuten später ließ ich mich in meine Badewanne sinken, in der eine ganze Fußballmannschaft Platz gefunden hätte. Gegen zehn Uhr kam Rosvita vorbei, und wir spielten in Jacken, mit Hüten und Handschuhen auf meiner Veranda Karten und lauschten dabei dem Fluss.
Ich verlor 8 , 62 Dollar.
Rosvita mischte die Karten, bildete eine Brücke aus ihnen, schob sie ineinander und hob immer wieder ab. In jüngeren Jahren hatte sie längere Zeit in einem Kasino in Las Vegas gearbeitet. Sie hatte viele Geheimnisse, unsere
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