Blau wie Schokolade
zur Veranda.
Ich zog an den Jalousien. Sie lösten sich und fielen zu Boden. Sonnenlicht flutete herein, und der feuchte, dunkle Raum wirkte sofort viel fröhlicher. Ich zog die Rollos vor der Glasschiebetür zur Seite, öffnete sie und ließ die kühle Bergluft herein. Fast konnte ich spüren, wie das Haus vor Erleichterung aufseufzte.
Ich spähte nach draußen auf den Fluss, der hinter den Bäumen glitzerte. Man hatte einen tollen Ausblick. Ich hörte Vögel zwitschern, Blätter im Wind rascheln und direkt unter meinen Füßen das Geräusch von Tieren. Ich nahm an, es sei ein Opossum oder ein Waschbär. Dann vernahm ich ein schmatzendes Geräusch in der Wand neben mir. Wahrscheinlich Termiten. Eine Spinne kroch mir über den Schuh. Bestimmt gab es hier Tausende davon.
Ich trank noch einen Schluck Wein und schaute unter die Decke. Unzählige Wasserflecke prangten dort. Die Holzvertäfelung an den Wänden, ebenfalls kackbraun, löste sich auf, der Teppich war entweder feucht, zerbröselt oder fast nicht mehr vorhanden. Welch grässliche Krankheitserreger Rosvita hier finden könnte!
Wagemutig stieg ich die Treppe hinauf in den ersten Stock, vorsichtig, als balancierte ich auf einem Drahtseil.
Alle Fenster oben waren mit dunklen Rollos verhängt. Ich riss sie herunter, und die Sonne ließ ihren Zauber wirken. Der Treppenabsatz war ziemlich groß, fast schon ein Raum für sich, dazu gab es drei Schlafzimmer. Einige Möbelstücke waren noch vorhanden, unter anderem ein Schaukelstuhl. Vor dem Elternschlafzimmer war ein kleiner Balkon. Ich traute mich nicht, ihn zu betreten. Herunterzufallen stellte ich mir nicht gerade lustig vor.
Weiter hinten, in ungefähr hundert Metern Entfernung, sah ich ein kleineres weißes Gebäude zwischen Kiefern stehen. Es hatte nur ein Geschoss. Wahrscheinlich war es als Gästehaus benutzt worden.
Ich ging nach unten und stöberte noch ein wenig herum. Das ganze Haus roch wie ein Altenpflegeheim, nur ohne Desinfektionsmittel. Ich wusste, dass die Flecken unter der Decke auf einen Rohrbruch hindeuteten. Das Dach erinnerte mich an den eingedellten Teil eines Diaphragmas. Eine Ratte huschte über den Boden. In einer anderen Ecke entdeckte ich eine Ameisenstraße.
Dieses Haus war völlig heruntergekommen. Es hätte abgerissen werden müssen.
Abgerissen und dem Erdboden gleichgemacht.
Aber ich liebte es.
Mit der Weinflasche in der Hand lief ich zurück zu Rosvita und rief den Makler an.
Ich erkundigte mich nach dem Preis.
Er nannte ihn mir.
Ich musste lachen, verschluckte mich leicht am Wein, bot ihm die Hälfte.
Er lehnte ab.
Ich lachte erneut, so, als hätte er einen umwerfenden Witz gemacht. »Wenn Sie jemanden finden, der diesen Preis für die verschimmelte, ungezieferverseuchte Absteige zahlt, fresse ich meinen linken Arm mit falschen Vampirzähnen, mein Junge. Schönen Tag noch.« Ich legte auf und wartete.
Zwei Minuten später rief er zurück und erklärte sich mit meinem Angebot einverstanden.
Ich dankte ihm, sich die Zeit genommen zu haben.
Als wir unser kurzes Gespräch beendet hatten, ging ich zurück zu meinem neuen Haus und lauschte der Musik des Flusses, den hohen und den tiefen Tönen und all den Tönen dazwischen.
8 . KAPITEL
In meinem Aggressionsbewältigungskurs waren außer mir und Emmaline Hallwyler, der Frau in Weiß, noch vier andere Personen.
Ein Teilnehmer hieß Bradon King, war ein Afroamerikaner von knapp zwei Metern Länge, kahlköpfig, mit einer Vorliebe für rosa, lavendelfarbene oder himmelblaue Oberhemden. Wer so machomäßig aussah, konnte wirklich jede Farbe tragen. Nachdem ich zu Beginn der ersten Stunde mit ihm geredet und herausgefunden hatte, dass er Klavier spielte, weil seine Großmutter von ihm verlangt hatte, jeden Tag zwei Stunden zu üben, damit er keinen Blödsinn anstellte, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass er in irgendeiner Weise gewalttätig sein sollte oder sogar jemandem weh tun könnte. Bradon war fünfundvierzig Jahre alt, seit fünfundzwanzig Jahren mit derselben Frau verheiratet und hatte fünf Kinder mit ihr.
Er war in der Therapie, weil er ziemlich unzufrieden mit der Art und Weise war, wie Minderheiten im städtischen Schulsystem behandelt wurden, insbesondere afroamerikanische Schüler. Vor kurzem hatte er sich auf einer Versammlung der Schulbehörde gezwungen gesehen, auf einen Tisch zu steigen, während die durchweg mit Weißen besetzte Schulbehörde böse das fast durchweg schwarze Publikum anstarrte.
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