Blau wie Schokolade
Bradon hatte den Beamten mitgeteilt, dass ihnen offensichtlich nichts an den afroamerikanischen Kindern und ihrer Zukunft liege, dass sie ihnen eine ordentliche Ausbildung verweigerten, dass es der Behörde einfach nur egal sei, schnurzpiepegal. Er zertrümmerte zwei Stühle, um zu zeigen, was mit der Zukunft der schwarzen Kinder passierte, wenn sie keine Ausbildung bekämen.
»Ihre Zukunft liegt in Trümmern. Sie ist kaputt. Zerstört. Futsch. Sie haben keine Zukunft. Wir müssen diese Kinder ausbilden!«, rief er unter dem heiseren Jubel der Anwesenden. Nur die weißen Vertreter der Schulbehörde jubelten nicht.
Die Polizei wurde gerufen. Bradon wollte sich nicht dafür entschuldigen, die Schulbehörde als einen Haufen rassistischer, reicher, stinkfauler Weißer beschimpft zu haben, die in ihrer eigenen heilen Welt lebten und keine Ahnung von den Problemen hätten, mit denen sich Kinder von Minderheiten täglich herumschlagen müssten. Die Zeitung berichtete über Bradons Aufstand – yippie yeah. Und Bradon King, Inhaber einer sehr erfolgreichen ortsansässigen Baufirma namens King Construction, landete in der Aggressionsbewältigungstherapie.
»Jedes Jahr brechen mehr schwarze Kinder die Schule ab. Und niemand kümmert sich darum. Ich glaube, den Schulen ist es nur recht so. Doch was geschieht mit ihnen? Das sind Jugendliche, Jeanne«, erklärte er mir. »Kinder. Und ihre Zukunftschancen sind in dem Moment gleich null. Warum kümmert sich niemand um sie? Weil sie schwarz sind? Du kannst deinen Hintern drauf verwetten, dass es sofort ein Riesengeschrei gäbe, wenn plötzlich jede Menge reicher weißer sechzehnjähriger Mädchen die Schule abbrechen und an der nächsten Ecke Drogen verkaufen würden. Da würde sofortiges Handeln gefordert werden. Und es würde tatsächlich gehandelt werden. Sind schwarze Kinder also entbehrlich? Will man das damit sagen? Wenn nicht, warum unternehmen die Schulen dann nichts dagegen?«
»Darauf weiß ich keine Antwort«, sagte ich.
»Ich auch nicht. Deshalb habe ich mit den Stühlen geworfen«, seufzte er. Der grüne Sitzsack unter ihm sah ganz winzig aus. Sein Seufzer verriet mir, dass er das Kämpfen leid war. »Ich habe für die schwarzen Kinder mit den Stühlen geworfen.«
Ein anderer Teilnehmer des Kurses war Soman Fujiwara. Soman kam von einer pazifischen Insel und arbeitete seit fast fünfzehn Jahren als Elektriker. Er hatte einen Wust herrlicher schwarzer Zöpfe auf dem Kopf, die ihm bis auf die Schultern fielen, hübsche Lippen und schwarze Augen. Um seine »Vergangenheit und Gegenwart vorzustellen«, sang er uns ein Lied vor. Es war eine hübsche Melodie, auch wenn ich die Sprache nicht verstand. Es rief Bilder von farbenprächtigen Sonnenuntergängen in meinem Kopf hervor, ich musste an den Geruch von gekochtem Gelbflossen-Thun und den Geschmack von Mango und Ananas denken.
Anschließend erklärte uns Soman, es sei ein Lied über Leiden und Tod gewesen.
Doch ehe ich Angst bekam, er könne ein psychisch kranker Mörder sei, der uns als Nächstes mit einem AK - 47 niedermähen würde, sagte er: »Ich bin froh, hier zu sein.« Er klopfte auf seinen gelben Sitzsack: »Es stimmt, ich bin aggressiv. Aber ich habe Grundsätze.«
Ich nickte. Ich hatte auch Grundsätze bei meinem verschrobenen, egoistischen Verhalten.
»Ich bin nie in der Nähe von Frauen aggressiv. Das habe ich von meinem Vater. Er findet das respektlos, ich auch. Meine Mutter sagt ihm immer, was er tun soll, und er gehorcht. Er hat mir gesagt, das würde ihm das Leben erleichtern. Ich hab noch nie eine Frau geschlagen, niemals. Kein Mann in der Fujiwara-Familie hat jemals eine Frau geschlagen, und es hat sich auch noch niemand scheiden lassen. Noch nie.« Soman schlug mit seiner gewaltigen Faust in die andere Hand und warf dann einen kurzen Blick zu Becky hinüber, einer Frau, die sich offenbar am liebsten in ihrem Sitzsack verkrochen hätte. »Aber ich bin nicht verheiratet. War ich noch nie. Ich würde gerne heiraten. Irgendwann. Ich meine, nicht jetzt, aber irgendwann schon. Wenn ich die richtige Frau kennenlerne, die auch geheiratet werden will.« Er warf Becky erneut einen Blick zu. »Irgendwann mal. Also, von mir.«
Soman errötete leicht. Er warf die Zöpfe nach hinten und räusperte sich. »Ich schlage auch nicht zu, wenn Kinder in der Nähe sind. Kinder weinen, wenn sie so was sehen, sie sind verletzlich und bekommen Angst. Das geht nicht. Ich habe Nichten und Neffen, und die haben ihren
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