Blau wie Schokolade
nicht hier.« Drake nickte, schluckte und schob sein hübsches Haar wieder nach hinten. Vornübergebeugt setzte er sich auf den orangefarbenen Sack.
Zu guter Letzt gab es noch Becky Norwick. Sie sah aus wie ein blonder Geist oder besser gesagt, wie ein Mozzarella mit Depressionen. Becky saß auf dem blauen Sitzsack.
»Ich bin Becky.«
Ich wollte sagen: »Hallo, Becky«, so wie man es angeblich bei den Treffen der Anonymen Alkoholiker macht, aber das hier war ja etwas anderes: Wir waren bei der Aggressionsbewältigung, bei der AB , nicht bei den AA . Mir kam der Gedanke, dass ich meinen Hintern eventuell auch zu den AA schleppen sollte.
Becky sagte: »Ich habe ein Aggressivitätsproblem, weil ich ein Drogenproblem habe. Ich habe angefangen, Drogen zu nehmen, weil ich Probleme mit meinem Äußeren hatte. Ich wollte dünner sein.«
Ich betrachtete sie. Der blaue Sitzsack verschluckte ihren Körper fast. Das Dünnerwerden hatte sie auf jeden Fall in die Tat umgesetzt.
»Die Drogen haben mein Leben zerstört; das machte mich so richtig wütend. Ich nahm noch mehr Drogen und wurde noch wütender, wenn ich nicht genug bekam. Ich habe Sachen gemacht …« Sie sprach nicht weiter, ihre Stimme brach. Becky schlang die Arme um sich. »Ich habe Dinge getan, die ich nicht aus dem Kopf bekomme, die ich einfach nicht glauben kann.«
Soman klopfte ihr auf die Schulter. »Hey, Mädel, wir haben alle Dinge getan, die wir bedauern. Das ist schon gut. Du musst dir selbst vergeben. Schlag es dir aus dem Kopf, ja?«
»Das ist ja das Problem.« Becky schaute auf und trocknete ihre Tränen. »Es steckt bei mir im Kopf wie ein Pfeil, mitten in der Stirn. Ich war letztes Jahr auf Entzug, hab abgebrochen, alles verbockt, dann war ich ein zweites Mal in Therapie, und jetzt habe ich Angst, dass ich es noch mal verbocke. Es kommt mir vor, als würden die Drogen nach mir rufen. Ich kann sie hören.«
Wir warteten schweigend, dass Becky weitersprach.
»Es fing alles an, als ich in die Pubertät kam. Meine Brüder und meine Eltern versuchten, mir zu helfen, aber ich lief davon. Ich lief mit meinem Dealer vor all diesen lustigen, liebevollen Menschen davon. Da war ich siebzehn. Ich trennte mich von meiner Familie.« Becky fuhr sich mit der Hand durch das struppige blonde Haar, dann über ihr blasses, ungeschminktes Gesicht. »Vor sieben Jahren verlor ich meine Familie.«
Wir warteten. Beckys Gesicht war vor Kummer verzerrt.
»Bloß warum? Für einen Dealer, dann für einen anderen. Statt in einem Haus mit einem rosa Zimmer zu schlafen, übernachtete ich in dreckigen Hotels, in Torwegen, Parks und Autos. Statt nachmittags auf meinem Pferd zu reiten, war ich den ganzen Tag unterwegs, um Drogen zu kaufen. Statt Geburtstage mit Kuchen und Kerzen zu feiern, zählte ich die Einstichwunden auf meinen Armen. Ich bin wütend. Wütend auf mich selbst. Wütend darauf, wie dumm ich bin. Meine Wut springt mich ständig an, so kommt es mir vor. Sie springt mich an.« Tränen rannen Becky über die Wangen. »Ich weine in einem fort. Ich kann einfach nicht aufhören.«
Irgendwie war es für uns Fremde kein Problem, schweigend über Beckys aggressive Wut nachzudenken.
Ich hatte Mitleid mit der armen Frau. Wirklich.
Nun war ich an der Reihe. Ich saß in dem violetten Sitzsack. »Ich heiße Jeanne Stewart. Ich bin hier, weil ich mich an meinem untreuen Freund gerächt habe. Sein Name ist Schlappschwanz.« Das war eine kleine Zusatzinformation, die nicht nötig war, aber ich musste sie einfach loswerden. »Die Polizei war der Meinung, ich sollte wegen Körperverletzung vor Gericht gestellt werden, wegen eines kleineren Zwischenfalls mit dem Schlappschwanz, und jetzt hat er mich auf mein gesamtes Vermögen und auf alles verklagt, was ich jemals verdienen werde, entweder auf der Erde oder im Himmel, wenn ich je dahinkomme, was ich bezweifle.« Ich trommelte mit den Fingern auf den Sitzsack. »Ich bin hier, weil ich vor dem Richter einen guten Eindruck machen will, aber in Wirklichkeit wünsche ich mir, dass ich dem Schlappschwanz noch stärker weh getan hätte.«
Becky, Soman und Bradon nickten. Drake funkelte mich wütend an.
»Manchen Menschen muss man einfach weh tun«, sagte ich. Dabei sah ich Drake mit erhobenen Augenbrauen an.
Wieder nickten Becky, Soman und Bradon. »Auf jeden Fall«, sagte Soman.
Emmaline saß schweigend da.
»Ich habe eine Menge Wut in mir«, sagte ich ziemlich sachlich. »An manchen Tagen glaube ich, nur deshalb noch zu
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