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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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zusammengesetzt, dass ein modernes Kunstwerk entstanden war. Es hätte in jedem Stadtpark stehen können.
    »Es heißt Oskar«, sagte er, als Emmaline ihn aufforderte, dem Kurs etwas über sein Kunstwerk zu erzählen. »Wie Oskar aus der Mülltonne. Oskar hat seine Wut dermaßen satt, Mann. Seine Wut frisst ihn bei lebendigem Leib auf, und das geht so weiter, bis er von innen hohl ist und sein Fleisch grün verschimmelt. Außerdem tun ihm von all der Wut die Handknöchel weh, wenn er jemandem ins Gesicht schlägt, und das hat er genauso satt.«
    Bradon nahm sich die Aquarellfarben, tauchte einen Pinsel in Wasser und saß reglos da. Schließlich malte er eine heruntergekommene Schule. Vor der Schule stand ein kleiner schwarzer Junge. Er hielt ein noch kleineres Kind im Arm. Auf dem Boden lagen zwei Spritzen, Bierflaschen und eine Wasserpfeife. Ein Holzkreuz lag zu seinen Füßen. Der Junge schaute zum Himmel empor, als frage er Gott, warum er ihm nicht geholfen habe. »Das ist die Hoffnungslosigkeit, die ich in den Augen so vieler schwarzer Jungen sehe«, erklärte Bradon. »Hoffnungslosigkeit. Leere. Gleichgültigkeit.«
    Becky zog die Konturen ihrer Hand immer wieder mit bunten Stiften auf weißem Fleischerpapier nach. Ihre Hände waren wie zu einem Regenbogen angeordnet. Sie verzierte die Umrisse mit Pailletten, Perlen und Glitter.
    Als es wunderschön bunt schimmerte, goss sie schwarze Farbe über alles, bedeckte jeden Zentimeter ihres Blattes. »Die Hände sollen mich darstellen, wie ich vor den Drogen war; die schwarze Farbe zeigt, wie ich jetzt bin. Nicht sehr originell, aber so ist es halt.«
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte, wie ich aus meiner Wut Kunst machen sollte. Ich nahm mir ein großes Blatt hellgrünes Papier. Dann bat ich Emmaline, meinen Umriss darauf zu zeichnen. Mit verschiedenfarbigen Stiften schrieb ich auf jeden Zentimeter meines Körpers, über was ich mich ärgerte. Ich schrieb den Namen vom Schlappschwanz quer über meine Scham. Ich schrieb den Namen meiner Mutter, Ally Mackey, und den meines Vaters, Grayson Mackey, und die Namen meiner Großeltern, Henri und Rosa (Sanchez) Monihan an die Stelle meines Herzens. Über meine gesamten Körper schrieb ich Johnnys Namen und den unseres kleinen Mädchens, Ally Stewart. Unterschiedlich groß schrieb ich noch unzählige weitere Wörter auf das Papier. Verloren. Allein. Einsam. Tot. Ich hörte überhaupt nicht mehr auf zu schreiben.
    Als ich aufschaute, standen Emmaline, Bradon, Becky und Soman um mich herum und schauten mir zu.
    »Mannomann«, sagte Bradon ehrfürchtig. »Du bist ja so was von wütend.«
    Becky klopfte mir auf den Rücken, schniefte und murmelte: »Das wird schon alles wieder, wird schon alles wieder.« Ich nahm mir vor, Becky irgendwann mal zum Mittagessen einzuladen. Ich mochte sie. Soman legte seine Hand auf meine. Seine Zöpfe vermischten sich mit meinen goldenen Locken. »Gib mir was von deiner Wut ab, Jeanne. Ich tue sie in meine Faust, und wenn ich das nächste Mal zuschlage, werde ich deine ganze Wut mit hineinlegen, das verspreche ich dir.«
    Ich setzte mich auf den Hintern. »Danke, Soman, das ist eine gute Idee. Denn wenn ich meine Wut nicht langsam mal loswerde, sehe ich bald aus wie dein Oskar.«
     
    Die Aggressionsbewältigung nahm an jenem Abend kein gutes Ende.
    Nach der Bastelstunde saßen wir im Kreis auf unseren Sitzsäcken: ich auf dem violetten, Bradon auf dem grünen, Soman auf dem gelben, Becky auf dem blauen und Drake auf dem orangefarbenen Sitzsack.
    Drake machte den Mund auf, und sofort kamen wieder Hässlichkeiten heraus. »Ihr alten –« Er schüttelte den Kopf, als wären wir nicht der Mühe wert. »Hey, tut mir leid mit eben, aber ich bin hier fehl am Platz. Ich passe einfach nicht hierher.«
    »Damit liegst du völlig richtig«, sagte Soman. »Du bist wie ein Geschwür.«
    »Es scheint ein paar Differenzen zu geben«, meinte Bradon.
    »Wisst ihr überhaupt, wer ich bin? Habt ihr die geringste Ahnung?«, höhnte Drake. »Nein, natürlich nicht. Wir bewegen uns nicht in denselben gesellschaftlichen Kreisen, nicht wahr?«
    Ich verdrehte die Augen. »Nein, ich habe den festen Grundsatz, nichts mit Männern zu tun haben zu wollen, die Nutten bezahlen. Genau genommen, bummel ich nur selten über die Straße, um mir Sex zu kaufen, daher werden wir uns wohl noch nicht nähergekommen sein, in keinerlei Hinsicht.«
    »Jetzt reicht es mir. Ich rufe meine Anwälte an – hast du das verstanden, Jeanne?

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