Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
Vom Netzwerk:
nennenswertes Privatleben hat und einigermaßen ehrgeizig ist, der wird es weit bringen.
    Ich brachte es weit. Ich war Kreativdirektorin einer Agentur, die unter meiner Leitung zu einer der erfolgreichsten im Land wurde.
    Ich war abwechselnd zuständig für Werbung, Marketing, die Öffentlichkeitsarbeit sowohl von Firmen als auch von städtischen wie bundesstaatlichen Behörden. Zweimal wurde ich an wohlbekannte nationale Politiker »ausgeliehen«.
    Des Weiteren hatte ich bei geschäftlichen Zusammenkünften, wo Schwachköpfe aus Medien, PR und Werbung verwöhnt wurden, Ansprachen und Ermunterungsreden gehalten. Da ich an Schlaflosigkeit litt, las ich mich jede Nacht in den Schlaf. Deshalb studierte ich regelmäßig die fünf wichtigsten landesweiten Zeitungen, verschiedene Fachzeitschriften und blätterte mich durch Hunderte von Büchern über Wirtschaft, Geschichte, Politik und Handel.
    Ich war eine armselige, einsame, verlassene Frau, aber ich kannte mich aus.
    Aufmerksam richtete sich der Gouverneur auf und hörte mir zu. Dabei hatte er nicht mehr diesen weichen, nachsichtigen Gesichtsausdruck.
    Am Schluss sagte ich: »Mein einziges Defizit ist, dass ich Oregon nicht so gut kenne, wie ich eigentlich sollte, weil ich hier nie gelebt habe. Aber einiges habe ich über den Staat erfahren, und zwar durch die Menschen, die ich hier kennengelernt habe.«
    Ich verschränkte die Finger.
    »Oregon ist schrullig. Neulich habe ich einen Mann in einem rosa Jogginganzug auf dem Fahrrad die Straße entlangfahren gesehen. Auf dem Rücken hatte er lila glitzernde Flügel. Ich schaute ihm nach, so faszinierend sah es aus. Niemand sonst in dem Café, wo ich saß, sah ihm länger als eine Sekunde nach. Niemand fand ihn ungewöhnlich. Nur ich. So ist Oregon.
    Eine Fleecejacke, Jeans und Regenmantel gelten so gut wie überall als ordentliche Kleidung. Nach der Mode zu gehen findet man hier oberflächlich. Man sollte im Leben Besseres zu tun haben, zum Beispiel die Umwelt schützen oder Häuser für sozial benachteiligte Menschen bauen.
    Man sollte immer davon ausgehen, dass der vierzigjährige Mann in zerrissener Jeans und altem Sweatshirt durchaus ein Computerexperte im Ruhestand sein könnte. Die wahren Bewohner Oregons mögen keine Schirme, aber haben einen Kaffeetick. Sie wollen nicht, dass sich die Bundesregierung in ihre Angelegenheiten einmischt. Auf gar keinen Fall.«
    Der Gouverneur nickte.
    Kurz stand mir plastisch vor Augen, wie es wäre, auf dem Gouverneursschreibtisch Sex zu haben, wie meine süßen Stöckelschuhe zu Boden fielen, aber ich schwelgte nicht lange in diesen Phantasien, schließlich hatte ich gerade ein Bewerbungsgespräch.
    »Die Menschen in Oregon sind der Überzeugung: leben und leben lassen – meistens jedenfalls. Ein Großteil der Bevölkerung ist liberal gesinnt. Hauptsächlich in den Städten. Ein genauso großer Anteil ist konservativ. Eher in den ländlichen Gegenden und Kleinstädten. Aber es gibt auch überzeugte Liberale in Ost-Oregon und steinharte Konservative in der Großstadt. Diese beiden Oregons stoßen oft zusammen. Umwelt contra Arbeit. Abtreibungsbefürworter contra Abtreibungsgegner. Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften contra lautstarke Ablehnung. Meine Aufgabe wäre es zu überlegen, wie man beide Welten erreichen kann, ohne die eigenen Vorstellungen und Ideale aufs Spiel zu setzen, wobei mir absolut klar ist, dass ein gewisser Teil von Oregon selbst ein Zebra mit Fußpilz zum Gouverneur wählen würde, solange es sich als konservativer Republikaner bezeichnet.«
    Der Gouverneur nickte erneut. »Zebras sind äußerst beliebt.«
    »Und wie. Muss irgendwas mit den Streifen zu tun haben.« Ich dachte an meine Stöckelschuhe mit dem Zebraprint zu Hause. Die hatten auf jeden Fall Elan.
    Wir schwiegen. Was sollte ich noch sagen? Er wäre verrückt, wenn er mich engagierte.
    »Sie sind engagiert«, sagte er. »Können Sie nächste Woche anfangen?«
    Das konnte er nicht ernst meinen. »Was?« Wieder kam es viel zu laut heraus, aber immerhin rief ich nicht wieder den lieben Gott an.
    »Ich habe gesagt, Sie sind engagiert. Willkommen im Wahlkampf!«
    »Ich bin engagiert?«
    »Ja. Wir brauchen Sie. Dringend. Charlie hatte recht.«
    Ich nickte. Hielt inne. Nickte wieder. Überlegte. Nickte ein drittes Mal. Dann verstand ich, was er gerade gesagt hatte. Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um dem Gouverneur von meinem lustigen Prozess zu erzählen? Von dem gegen mich anhängigen

Weitere Kostenlose Bücher