Blau wie Schokolade
fiel.
Allen Frauen, die noch nie nackt an einem Fluss entlanggejoggt und buchstäblich in einen großen, brutal wirkenden Mann gelaufen sind, um ihn knapp zwei Wochen später im Kapitol treffen und feststellen zu müssen, dass er der Gouverneur des Staates Oregon ist, all diesen Frauen sei gesagt, dass es sich dabei um eine, nun ja, eine reichlich erschütternde Erfahrung handelt.
Der Gouverneur drehte sich um, schloss die Bürotür und machte einige Schritte auf mich zu, ganz langsam. Seine hellblauen Augen waren auf mich gerichtet. Als er nur noch einen halben Meter entfernt war, wich ich nach hinten aus. Er machte einen weiteren Schritt nach vorn, ich ging nach hinten, dann stieß ich mit den Kniekehlen gegen einen Stuhl. Ich saß in der Falle.
Wie eine Ratte.
Eine Ratte mit rosafarbenen Stöckelschuhen und goldener Schnalle.
Der Gouverneur kam noch näher an mich heran. Ich mahnte mich, wenn ich nicht bald atmete, würde ich sterben. Er war so nah, dass ich die dunkelblauen Sprenkel in seinen Augen, die Fältchen um seinen Mund und die grauen Strähnen in seinem Haar sehen konnte. Am liebsten hätte ich ihn berührt. Seine Augen sahen aus, als lachten sie. Sie wirkten unglaublich sanft. Sanft und weich.
»Ms Stewart.«
»Du liiieber Gott!« Jetzt klang ich wie ein quietschendes Wiesel.
»Nein, ich bin nicht der liebe Gott«, sagte er mit einem Lachen in der Stimme. »Nur der Gouverneur.«
Ich atmete aus und hoffte, das Blut würde in meinen Kopf zurückfließen. Es dachte sich viel leichter, wenn die Gehirnzellen genug Blut zur Verfügung hatten.
»Möchten Sie sich setzen?«
Ich nickte, schluckte und ließ mich auf den Stuhl fallen, damit ich nicht ohnmächtig wurde.
Statt auf die andere Seite seines Schreibtisches zu gehen, zog der Gouverneur einen Stuhl heran und setzte sich ebenfalls. Zu nah. Viel zu nah.
Ich schlug das rechte Bein über das linke, weil beide Beine zitterten. Ich war nackt in diesen Mann gelaufen – mit hüpfenden Brüsten. Ich schlug die Beine wieder auseinander, setzte mich auf und bemühte mich, bloß nicht in seine lachenden blauen Augen zu sehen. Diese sanften blauen Augen.
Lange Zeit herrschte Totenstille im Büro des Gouverneurs.
Ich atmete ein, atmete aus, überlegte, was ich sagen sollte. Irgendetwas, das meine enorme Intelligenz unter Beweis stellte. »Sie sind nicht vorbeigekommen«, sagte ich. Am liebsten hätte ich mir die Zunge aus dem Hals gerissen.
Er nickte. »Das stimmt.«
Ich schluckte. »Das kann ich Ihnen nicht verübeln. Ich wäre einem Mann, der nackt am Fluss entlangläuft und mich angreift, auch lieber aus dem Weg gegangen.« Ich hielt dem Gouverneur die Hand hin. Er ergriff sie. Seine Hand war warm und hart, ein wenig schwielig. Er ließ mich nicht los. »Guten Tag, Gouverneur Kendall, ich bin Jeanne Stewart. Wir haben uns kennengelernt, als ich nackt war.« Ich hielt inne. Mir wurde übel.
Hatte ich das gerade tatsächlich gesagt?
Wir haben uns kennengelernt, als ich nackt war?
Ich versuchte, ihm die Hand zu entziehen. Ich wollte fortlaufen.
Er griff fester zu.
Ich würde gleich sterben.
Ich schluckte. In meinem Hals steckte ein dicker Brocken. »Ich bin erst vor kurzem hergezogen und habe Sie nicht erkannt, weil ich keine Zeitung gelesen und nicht im Internet nachgeschaut habe. Ich bin nämlich total neben der Spur. Da eine Zusammenarbeit ja wohl nicht in Frage kommt, werde ich Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Auf Wiedersehen!«
Ich stand auf. Meine Beine wackelten.
Gouverneur Kendall blieb sitzen. Ich stand vor ihm, meine zitternde Hand noch immer in seiner.
»Setzen Sie sich bitte, Ms Stewart!«
Ich zögerte. Ich wäre lieber draußen vor dem Kapitol umgekippt, nicht hier. Mein Gesichtsfeld verschwamm und wurde undeutlich.
»Bitte!«
Ich setzte mich. Aber nur weil meine Puddingbeine mich im Stich ließen.
Er ließ meine Hand los. Ich gab ein keuchendes, unangenehmes Geräusch von mir.
»Es gibt keinen Grund, warum Sie gehen sollten.«
»Aber … aber Sie kennen mich.« Urgs. Das klang sehr intim. Ich brachte noch ein sonderbares Geräusch aus tiefer Kehle hervor. »Sie wissen von meiner Aggressionsbewältigungstherapie. Vom Schlappschwanz. Von meinem Mountainbike. Meiner Mutter. Von der Farm, die ich nicht bekommen habe … Sie wissen, dass ich total übergeschnappt bin.«
Ich musste daran denken, wie er sich auf mir angefühlt hatte. Ich dachte an seine Wärme. Wie er mir zugehört hatte. Wie er mich
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